Lehrstuhl für Philosophie | Ästhetische Theorie

Prof. Dr. Maria Muhle, Mascha Salgado de Matos, M.A., Nisaar Ulama, M.A.,

Lehraufträge: Sarah Lehnerer, M.A., Franzsika Link, M.A., Dipl. Phys. David Weber, Giulia Zabarella

 

Lehrstuhl für Medien- und Technikphilosophie

Jun.-Prof. Dr. Marina Martinez Mateo

 

Die Anmeldung zu den Lehrveranstaltungen erfolgt über das Studierendenportal. Hilfestellung zum Portal findet sich auf dieser Seite.

 

Kurzübersicht (Seminarbeschreibungen siehe unten)

 

Kunst und Kybernetik

Vorlesung (Einführung in die Ästhetik) (Freie Kunst FK-T2 sowie Kunstpädagogik E.01.09)

Prof. Dr. Maria Muhle

Donnerstag 11.00–13.00 Uh, Beginn: 27.04.2023

Raum: E.O1.23, Aula (11.05.), E.O2.29 (15.06.)

 

„a possibility of repair?“ Reparation(en) in Psychoanalyse, Kunst und Politik

Seminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Prof. Dr. Maria Muhle

Freitag 10.00–14.00 Uhr, Beginn: 28.04.2023

Termine: 12.05., 19.05., 02.06., 16.06., 30.06., 07.07., 14.07.

Raum: E.O1.23, E.O2.29 (16.06.)

 

Kolloquium Philosophie

Prof. Dr. Maria Muhle / Mascha Salgado de Matos, M. A. / Nisaar Ulama, M. A.

Donnerstag 15.00–18.00 Uhr,

Termine: 04.05., 25.05., 15.06., 29.06.

Raum: E.O2.29

 

Forschungskolloquium (für Masterabsolvent*innen, Doktorand*innen und Post-Doktorand*innen)

Prof. Dr. Maria Muhle
Termine und Ort werden per E-Mail bekannt gegeben.

 

Lust, Leidenschaft und die Liebe zur Weisheit

Seminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Mascha Salgado de Matos, M. A.

Dienstag, 10.00–12.00 Uhr, Beginn: 25.04.2023

Raum: E.O2.29, E.O1.23 (30.05., 11.07.)

 

Investigating Artistic Material.

Seminar and Excursion to spring* meeting at Performing Arts Forum, St. Erme, France (F)

Seminar und Exkursion (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Nisaar Ulama, M. A.

Termine: 04.05. 10.00–14.00 Uhr, 01.06. 14.00–16.00 Uhr

Exkursion: 17.-22.05.

Raum: A.EG.01

(Keine Anmeldung mehr möglich)

 

Familien-Abolitionismus

Seminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4, Kunstpädagogik E.02.09)

Prof. Dr. Marina Martinez Mateo

Dienstag 14.00–18.00 Uhr, Beginn: 25.04.2023 (14tägig)

Raum: A.EG.01, E.O1.23, (09.05., 04.07.)

 

Reflexionen aus dem beschädigten Leben.

Lektürekurs zu Theodor W. Adornos „Minima Moralia“

Prof. Dr. Marina Martinez Mateo

Seminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4, Kunstpädagogik E.02.09)

Mittwoch 12.00–14.00 Uhr,  Beginn: 26.04.2023

Raum: E.O2.29, O1.23 (31.05.)

 

Artist’s writing. Schreiben als (künstlerische) Praxis (II)

Blockseminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Sarah Lehnerer, M.A.

Freitag 11.00–13.00 Uhr, Beginn: 28.04.2023 (Online)

sowie in Präsenz (Workshop): Termine: 21./22.04., 13.05., (12.00–18.00), 30.06./01.07., Freitag 14.00–19.00 Uhr, Samstag 12.00–19.00 Uhr

Raum: E.O1.23 (Freitag) A.EG.01 (Samstag)

 

Affekttheorien

Seminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Franziska Link, M.A.

Mittwoch: 16.00–18.00 Uhr, Beginn 26.04.2023

Raum: E.O1.23, E.O2.29 (03.05., 14.06.)

 

Of scaffoldings, Fiber Optic and co-working spaces: who runs the city?

Blockseminar (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4 sowie Kunstpädagogik E.02.09)

Giulia Zabarella

Termine: 20.06., 21.06., 22.06., jeweils 10.00–14.00 Uhr

Raum: A.EG.01

Language: English (German and any other languages welcome too)

 

Produzieren und Produzierenlassen. Kunst und künstliche Intelligenz

Blockseminar vorrangig für Diplomkandidat*innen (Freie Kunst FK-T2 und FK-T4, Kunstpädagogik E.02.09 nach Absprache)

David Weber

Termine: 12.06., 19.06., 26.06. jeweils 10.00–18.00 Uhr

Raum: E.O2.29

 

 

Beschreibungen

 

Kunst und Kybernetik

Prof. Dr. Maria Muhle

 

 kybernetik1  kybernetik2

 

In der Vorlesung „Kunst und Kybernetik“ werden grundlegende Texte zur Einführung in das Verständnis von Kybernetik sowie deren Relevanz für künstlerische und politische Praktiken untersucht. Kybernetik (vom Griechischen kybernetes, dem Steuermann) wird als „Kunst des Steuerns“ bezeichnet und meint die Wissenschaft von der Steuerung und Regelung von Maschinen und deren Analogie zu lebenden Organismen. Das Thermostat, das dazu dient, eine gewünschte Temperatur stabil zu halten und sie bei Abweichungen wieder herbei zu regulieren, gilt als grundlegendes Modell für kybernetische Verfahren. Norbert Wiener führt den Begriff der Cybernetics zum ersten Mal Ende der 1940er Jahre ein und zielt damit auf die Schnittstelle so unterschiedlicher Felder wie der Biologie, der Mathematik, der Ingenieurs- und Neurowissenschaften ab, die sich nach dem Modell des Feedback-Mechanismus interpretieren lassen, dessen Ziel es ist, ein spezifisches System stabil zu halten. In seiner kurzen Bestimmung kybernetischer Kunst von 1966 schreibt Nam June Paik: „Wie das Happening die Fusion verschiedener Künste ist, ist Cybernetics die Ausnutzung der Grenzbereiche zwischen unterschiedlichen bestehenden Wissenschaften und über diese hinaus.“

 

Neben den historischen Debatten um eine Kybernetik 1. und 2. Ordnung (Norbert Wiener, Gregory Bateson u.a.) werden auch zeitgenössische Wiederaufnahmen kybernetischer Fragestellungen, etwa entlang der Begriffe von Post- und Transhumanismus (Donna Haraway, Katherine Hayles) diskutiert. Einer politischen Dimension, die Kybernetik als gesellschaftliches, gegenkulturelles Projekt versteht (u.a. das Cybersyn-Projekts in Salvador Allendes Chile in den 1970ern; popkulturell rekodiert als Cyberkultur der 1980er Jahre; als Kritik an der „kybernetischen Hypothese“ bei Tiqqun), steht dabei eine ästhetische Dimension zur Seite, die das Potential künstlerischer Produktion vor dem Hintergrund menschlich-maschineller Verschaltungen untersucht.

 

 

„a possibility of repair?“ Reparation(en) in Psychoanalyse, Kunst und Politik

Prof. Dr. Maria Muhle

Kader Attia, Untitled, 2017Der Begriff der Reparation, aus dem Lateinischen reparatio, scheint zunächst die Wiederherstellung von etwas zu bezeichnen, das bspw. zerbrochen, in Teilen zerstört und nun ausgebessert, ergänzt, repariert wird, um so eine neues, wieder funktionsfähiges „Ding“ herzustellen. Ursprünglich ein Begriff der Medizin, der den natürlichen Ersatz von zerstörtem Körpergewebe im Rahmen der Wundheilung meint, findet er besonders im Völkerrecht Anwendung und bezeichnet hier finanzielle Leistungen zur Wiedergutmachung von verursachten Schäden. Diese „Entschädigungen“ werden nach dem 1. Weltkrieg völkerrechtlich eingeführt und bilden die Grundlage der Versailler Verträge. Sie werden derzeit im Zuge der BLM-Bewegung vermehrt in den USA diskutiert als Wiedergutmachung für die Verbrechen der Sklaverei sowie global zunehmend im Kontext der Aufarbeitung kolonialer Verbrechen diskutiert. Was hier jedoch virulent wird, ist die intrinsische Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit reparativer Logiken:  Geht es dabei bei den Reparationsforderungen an die US-amerikanische Gesellschaft wie auch im dekolonialen Kontext, nicht um die Rückzahlung von zu einem historischen Zeitpunkt x verlorenen Gütern und Vermögen, sondern vielmehr um die nicht-heilbare rassistische Konstellation der Vereinigten Staaten bzw. darüber hinaus der ehemaligen Kolonialmächte.

Die klassisch verstandene historiographische Logik der Reparatur scheint also, wenn wir ihrer Etymologie folgen, eine der Wiederherstellung des Rechts nach einer Situation des Unrechts zu sein und damit einen Abschluss zu suggerieren. Einer solchen Indienstnahme des Begriffs widersprechen gleichwohl dessen künstlerische und psychoanalytische Ausformungen, die im Seminar anhand der Lektüre einschlägiger Texte (Berlant, Sedgwick, Klein) sowie der Besprechung zeitgenössischer künstlerischer Auseinandersetzungen (Kader Attia, u.a.) im Mittelpunkt stehen werden. Während die künstlerische Auseinandersetzung besonders den qualitativen Unterschied zwischen Ausgangsobjekt und repariertem Objekt betont und dem Letzteren eine größere ästhetische Intensität zuspricht (vgl. japanische Keramik), insistiert die psychoanalytische Lesart auf dem Gegensatz von Reparatur und Heilung und unterstreicht damit gerade die Unabschließbarkeit der reparativen Logik, die vielleicht entscheidende Differenzierungen in der gegenwärtigen politische Debatte einzieht.

Textgrundlage (u.a.): Lauren Berlant, Cruel Optimism, Duke University Press 2011. Abbildung: Kader Attia, Untitled, 2017

 

Kolloquium Philosophie

Prof. Dr. Maria Muhle, Mascha Salgado de Matos, M.A., Nisaar Ulama, M.A.

Das „Kolloquium Philosophie“ eröffnet den fortgeschrittenen Studierenden aller Klassen die Möglichkeit, thematisch ungebunden ihre Arbeiten zu präsentieren und im Plenum mit den anderen Studierenden sowie den Lehrenden der Philosophie aus einer philosophischen, ästhetischen und kunsttheoretischen Perspektive zu diskutieren. Neben den Präsentationen der künstlerischen Arbeiten und der gemeinsamen Lektüre und Diskussion von Texten, die einen direkten Bezug zur Arbeit der Studierenden haben, spielt das Schreiben (über die eigene Praxis) eine zentrale Rolle. Das „Kolloquium Philosophie“ bietet konkret die Möglichkeit, die Schreibarbeit der Studierenden zu intensivieren und einen stärkeren Fokus auf das Verfassen von Essays sowie von Texten über die eigenen Arbeiten zu legen. Schreiben soll derart nicht als Mittel zum Leistungsnachweis verstanden werden, vielmehr soll die Funktion des Schreibens (und Lesens) in der eigenen künstlerischen Praxis reflektiert werden.

Das freie Format des Kolloquiums erlaubt es, die einzelnen Ansätze nicht in einen übergreifenden thematischen Rahmen einzuschließen, sondern die inhaltliche Ausrichtung ausgehend von der konkreten Arbeit der Studierenden vorzunehmen. Zugleich steht im Hintergrund der im Kolloquium geführten Diskussionen, der Text- und Schreibart immer auch der Versuch einer Bestimmung des Verhältnisses zwischen theoretischer und künstlerischer Praxis; ein Versuch, der für die Studierenden und Lehrenden einer Kunsthochschule gleichermaßen eine besondere Herausforderung darstellt.

Eine regelmäßige Teilnahme am „Kolloquium Philosophie“ ist erforderlich, damit ein möglichst kontinuierlicher Austausch in der Gruppe gewährleistet wird und das Kolloquium so zu einem experimentellen Ort der Präsentation und Diskussion und zum festen Bestandteil des Lehrstuhls für Philosophie werden kann.

 

 

Forschungskolloquium (für Masterabsolvent*innen, Doktorand*innen und Post-Doktorand*innen)

Prof. Dr. Maria Muhle

Das Forschungskolloquium bietet die Möglichkeit, laufende philosophische, ästhetische oder kunsttheoretische Qualifikationsarbeiten vorzustellen und zu diskutieren. Ausschließlich nach vorheriger Anmeldung unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

 

 

Lust, Leidenschaft und die Liebe zur Weisheit

Mascha Salgado de Matos, M. A.

Ausgangspunkt des Seminars ist die Lektüre von Platons Das Gastmahl. Das dialogisch aufgebaute Werk Platons zeichnet sich durch das Spannungsverhältnis aus, das sich aus historischer Fiktion, dramatischer Literatur und dialektischer Philosophie ergibt. Statt wieder ein Saufgelage zu veranstalten beschließen die Teilnehmer, die noch vom vorigen Abend verkatert sind, Lobreden auf den Liebesgott Eros zu halten. Der Reihe nach, tragen sieben illustre und notorische Redner (darunter auch Sokrates) ihre Sicht auf den Gott und die psychologischen Phänomene, die er zeitigt, vor. Während das griechische Wort Érōs für leidenschaftliche, insbesondere sexuelle Begierde steht, wird der Begriff mit jeder Rede weiter gefasst. Zwischen Drama, Rhetorik, Poetik, Mythos und klassischer Argumentation erscheint Eros als freudebringender Gott, als Dämon, als homoerotische Liebe, romantische Liebe, und schließlich als metaphysische Kraft. Letztere ist insofern kreativ, da sich in ihr das wahrhafte, absolut Schöne nicht nur erfahren lässt, sondern als Erkenntnis „viele schöne und prächtige Worte und Gedanken in unerschöpflichem Streben nach Weisheit“ (Das Gastmahl, 210d3-6) gebiert.

Et voilá: Philosophie ist ein erotisches Unterfangen, das im Rahmen des Seminars mit weiteren Texten aus der jüngeren Philosophiegeschichte fortgeführt wird. Teils folgen wir einer platonischen Tradition (Lektüre Simone Weil), teils hinterfragen wir die vorgetragene Verstrickung von Ästhetik und Ethik (Christoph Menke). Wir klopfen modernen Begriffen wie dem der „Sexualität“ den antiken Staub ab (Michel Foucault), suchen nach dem verschwundenen Anderen in der heutigen Gesellschaft (Byung-Chul Han), befragen das liebende und lüsterne trans-/feministische (Catherine Malabou) und das intersektionale (bell hooks) Subjekt.

 

 

Investigating Artistic Material.

Seminar and Excursion to spring* meeting at Performing Arts Forum, St. Erme, France (F)

Nisaar Ulama, M. A.

The seminar will explore a simple question and some of its tricky answers: what does art actually consist of? Is it the good ideas of an ingenious artist? Is it a choice of form and discipline (e.g., painting versus composing music) or a particular material (e.g., wood versus glass)? Should political and historical circumstances be taken into account? How do technological developments and the idea of "progress" relate to the art world?

A concept of artistic material is one way of addressing these questions. From the point of view of a more entangled or dialectical relationship between work, material and artistic subjectivity, the sovereign act of "choosing" becomes questionable, transforming itself into something much more passive, closer to "following" or "dealing with resistance". Therefore, an open concept of material would include historical and political circumstances as well as the current state of technique and technology: all these are predicators of the artistic material. Following these traces allows us to ask for a formative power of art beyond traditional concepts of authorship or inventiveness.

The core element of the seminar is an excursion the Performing Arts Forum (PAF) in St.-Erme-Outre-et-Ramecourt, France, host of the spring*meeting (17.-22. May), a gathering for exchange between art and theory. This year’s edition takes its title from a quote by filmmakers Straub-Huillet: “We work with the materials that resists us”. It will feature artworks and lectures by Deborah Joyce Holman, Jamieson Webster, Simon Løffler and Lia Rodrigues.

PAF is a self-financed and self-organized platform of exchange and critical reflection between theory and practice. Founded about 15 years ago in the context of the performance, dance and theater scene, PAF has developed into a place of work and experimentation for all kinds of artistic, activist, academic and non-academic disciplines: a place for the professionals and the not-yet-professionals. Located in an old convent school in the French countryside, PAF lives solely on the basis of voluntary collaboration and the responsibility of visitors to engage with less-hierarchical structures. More about PAF and its organizational structure can be found here: http://pa-f.net/basics.

About 80 visitors are expected. Participants should be willing to sleep in shared rooms (2-8 people) and participate in housekeeping tasks such as cooking and cleaning. The working language will be English.

Thanks to inter-class grants, almost all costs for food and lodging can be covered. However, participants must organize and pay for their own travel. Estimated travel costs to St. Erme (a small village in the Picardie region, about 160km northeast of Paris) by train will be around 160-230€.

 

 

Familien-Abolitionismus

Prof. Dr. Marina Martinez Mateo

I’d wager that you, too, can imagine something better than the lottery that drops a neonate arbitrarily among one of two or three or four individuals (of a particular class) and keeps her there for the best part of two decades without her consent, making her wholly beholden to them for her physical survival, legal existence, and economic identity, and forcing her to be the reason they give away their lives and work.

Dieser “Wette“, dass es möglich ist, sich etwas „Besseres“ vorzustellen als die Form von Abhängigkeit und Willkürherrschaft, die wir Familie nennen, gilt das neue Buch der feministischen Theoretikerin Sophie Lewis Abolish the Family. A Manifest for Care and Liberation (2022). Mit diesem „Manifest“ zur Überwindung der Familie und zur Aufforderung, anderen Formen der Organisation von Fürsorge und gemeinschaftlichem Leben Raum zu machen, hat Lewis (gemeinsam mit anderen Feminist:innen wie M.E. O`Brien) in den letzten Jahren den Ausdruck „Familien-Abolitionismus“ in die feministische Theorie und Praxis gebracht. Auch wenn der Ausdruck selbst neu ist, greifen sie damit (queer-)feministische, sozialistische, anarchistische und dekoloniale Traditionen der letzten zweihundert Jahre auf, in denen eine radikale Kritik der Familie und praktische Versuche zu ihrer Überwindung im Mittelpunkt standen. Dazu gehören etwa der französische Frühsozialist Charles Fourier (1772-1837), der eine Idee des kommunalen Wohnens entwickelte, in der das Einfamilienhaus und die private Küche aufgelöst werden sollten, oder auch die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai (1872-1952), die davon überzeugt war, dass die familiale Privatisierung von Liebe und Fürsorge durch gesellschaftliche Institutionen überwunden werden müsste (als Ministerin für „Soziale Fürsorge“ unter Lenin war sie auch selbst an der Schaffung solcher neuen institutionellen Formen beteiligt). Ebenso zu nennen wären etwa Shulamith Firestone (1945-2012), Silvia Federici (*1942) und Tiffany Lethabo King.

Im Seminar werden wir zunächst die politische Figur des „Abolitionismus“ diskutieren, um uns dann den hier angerissenen Traditionen sowie den aktuellen Diskussionen um Familien-Abolitionismus zu widmen. Das Ziel wird sein, einen Eindruck von der Bandbreite an Alternativen zur bürgerlichen Familie zu gewinnen und diese Alternativen kritisch und aufmerksam auf ihre Implikationen und Möglichkeiten hin zu prüfen.

 

 

Reflexionen aus dem beschädigten Leben.

Lektürekurs zu Theodor W. Adornos „Minima Moralia“

Prof. Dr. Marina Martinez Mateo

1951 veröffentlichte der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno seine Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Aus dem Exil heraus, in dem sich Adorno von 1934 an auf der Flucht vor dem nationalsozialistischen Deutschland befand, widmet er sich darin der Frage, wie die Gegenwart von Kapitalismus und Faschismus die Bedingungen des Menschseins untergräbt – und inwiefern und wo Ahnungen von der Möglichkeit eines anderen Lebens in diesen Rissen hervorscheinen. In 153 Aphorismen wird jeweils ein alltägliches Motiv, eine kleine Beobachtung, eine Denkfigur ins Zentrum gestellt, die dazu anregt, vom Kleinen aus ins Grundsätzliche weiterzudenken. Darin entfaltet sich eine „negative“ Ethik, die stets zu zeigen versucht, warum und worin das „gute“ oder „richtige“ Leben sich unter gegenwärtigen Verhältnissen als unmöglich erweist. Minima Moralia ist eins der wichtigsten Werke der sogenannten „Frankfurter Schule“ und gibt einen Einblick in eine Form kritischen Denkens, die den Anspruch verfolgt, den Kapitalismus nicht nur als (im engen Sinn) ökonomisches System zu verstehen, sondern kapitalistische Ausbeutungs- und Entfremdungsverhältnisse von den Lebensweisen, Selbstverständnissen und Beziehungsformen, die er produziert, aus zu begreifen.

Im Seminar werden wir uns den wichtigsten Aphorismen aus der Minima Moralia widmen, um die Denkbewegung, die ihnen zugrunde liegt, und ihren kritischen Gehalt nachzuvollziehen. Diskutieren werden wir auch, was die darin verfolgte Perspektive für uns und unsere heutigen Lebensverhältnisse bedeuten kann, welche Aktualisierungen und Neuausrichtungen notwendig wären und wo wir umgekehrt heute von dieser (womöglich zum Teil in Vergessenheit geratenen) Form der Kritik für heutige Diskussionen lernen können. Fürs Seminar empfiehlt sich die Anschaffung des Buchs (17 Euro in der Suhrkamp-Taschenbuchausgabe), die Texte werden aber auch digital zur Verfügung gestellt.

 

 

Artist’s writing. Schreiben als (künstlerische) Praxis (II)

Sarah Lehnerer, M.A.

Schreiben als eine künstlerische Praxis hat eine lange Geschichte und kann dabei die unterschiedlichsten Formen annehmen: sie kann als ein Medium der Selbstbefragung dienen, in dem Gedanken geordnet, strukturiert und kontextualisiert werden, oder als ein Übersetzungsprozess, in dem die eigene künstlerische Agenda in Sprache gefasst und mit bestehenden Diskursen in Verbindung gebracht wird; sie kann aber durchaus auch unmittelbar, d.h. performativ-poetisch wirken. In den Lektüre-Einheiten des Seminars werden wir uns auf die Möglichkeiten der diversen Genres konzentrieren und dabei essayistische, poetische, theoretische, akademische, literarische und performative Ansätze untersuchen.

Dabei bietet besonders der verhältnismäßig junge Bereich der „künstlerischen Forschung“ einen interessanten Rahmen, in dem das Verhältnis von künstlerischer Praxis, Theorie und bestehendem Diskurs untersucht – und neue Formen des Schreibens erprobt werden können. Persönliche Erfahrungen, Leerstellen, widerständiges Material oder eine poetische Sprache können dabei ebenso zum Einsatz kommen wie Methoden der etablierten Wissenschaften. Und dies durchaus auch als ein Modus der Kritik: Besonders im Bereich einer queer-feministischen und postkolonialen künstlerischen Forschung werden geltende Überzeugungen des Wissenschaftsbetriebs grundsätzlich infrage gestellt und neue Formen des Schreibens – zwischen Praxis und Theorie – etabliert. (Siehe hierzu z.B. Maggie Nelson, Paul B. Preciado u.a.)

Der zweite Teil des Seminars widmet sich der Schreib-Praxis selbst. In Form von regelmäßigen, gemeinsamen Übungen nähern wir uns dem eigenen Schreiben an und erproben dabei dessen Verhältnis zur jeweiligen künstlerischen Praxis. (Schreibe ich, wie ich zeichne? Oder male und schreibe ich, wie ich denke? Oder wird das Schreiben gebraucht, um die künstlerische Arbeit für Vorträge, Anträge oder Ausstellungstexte in eine allgemeinere Sprache zu übersetzen?) Im Verlauf des Seminars soll ein eigenes, textbasiertes Projekt entwickelt werden. Diese Texte werden wir gemeinsam besprechen, editieren und in einer kleinen Publikation (Zine) am Ende des Semesters herausgeben. Eine Kollaboration mit dem Seminar von Inka Meißner ist dabei geplant.

 

Affekttheorien

Franziska Link, M.A.

Der Affektbegriff prägt von der griechischen Antike bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ästhetisches Denken entscheidend mit. In der psychoanalytischen Theorie findet er neues Gewicht, hat aber im 20. Jahrhundert diskursiv zunächst keine prominente Position mehr. Erst im Verlauf der 2000er Jahre werden Affekte wiederentdeckt und als körperlich wirksame Zustände einem vom linguistic turn geprägten, auf Textualität fokussierten Diskursdispositiv entgegengesetzt. Der nun eingesetzte Affektbegriff wird entlang spinozistisch-deleuzianischer Rezeptionslinien oder aus der psychoanalytischen, im weitesten Sinne psychologischen und auch queerfeministischen Theoriebildung entwickelt. Ihnen gemeinsam ist der Versuch, ontologischen Zusammenhängen (wieder) näherzukommen und damit einer wahrgenommenen Entfremdung von wirklichkeitsrelevanten Themen entgegenzuwirken. Damit sind die affekttheoretischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte auch der Versuch einer Distanzminimierung und Authentizitätssuche. Zugleich sollen hegemoniale Diskurstendenzen unterwandert oder ganz umgeworfen werden: in kapitalismuskritischen, gesellschaftstheoretischen oder politisch-sozialen Problemstellungen.

 

Gelesen werden soll u. a. Auszüge aus Sianne Ngai: Ugly Feelings, Lauren Berlant: Cruel Optimism, Kathleen Stewart: Ordinary Affects sowie weitere Texte.

 

 

Of scaffoldings, Fiber Optic and co-working spaces: who runs the city?

Giulia Zabarella

A choir is an object in space, matter articulated through bodies standing in a line, then dissipated. Simultaneity of spoken word distributed in sentences and muscles of the lip. The choir moves and sits, runs and rests and finds no peace, refracting lights and moods from subway tunnels to the wavering scaffoldings of high-rise buildings. The choir belongs synchronously to untouchable places of difference. It builds up, breaks down, then recomposes tight. Flowing units like prime numbers, streaming relentlessly into the city, filling each crack of the beaten path. We make room for this object.

Coffee roasteries, pop-up stores, WeWork conglomerates, e-scooters, debatable post-eurocentric digital nomadism, high-speed Fiber Optic and new Haussmannisation through mass sanitisation and anti-terror policies: what are the materialities of cities today and what is their political archeology? Who is the passenger, the inhabitant, the passer-by, the invisible worker, how do these entangled bodies build social fabric, its ribbons and rips, and how can their roaming and dwelling be exposed?

Walter Benjamin's ”Arcades Project” (Passagenwerk) is a magnifying glass through which the group will analyze contemporary urban development and its metamorphosis. A collection of fragments, this text will be the departure point to discuss urban architecture as a living organism, shaped by the myriad bodies that traverse it and the very textures and material changes that constitute it. Benjamin writes in the 1930s about 19th century Paris, its "passages couverts" full of showcases, ornaments and multiplying commodities, newly opened department stores, lonely passers-by and jarring crowds of consumers. The study group will question whether his close observations can (or cannot) still be used today as a working tool to understand the infrastructural politics, social struggles, gentrification, overpopulation, and the morphing of mass-consumerism in many contemporary European cities. 

In a 3-day intense seminar, fragments of the Benjamin’s text as well as writings by Mark Fisher and Virginie Despentes will be discussed and juxtaposed to the work of artists whose practices involve visual and performative forms of interrogation of such social and material dilemmas within urban scenarios: Alina Lupu (RO/NL), Sol Archer (NL/UK), and pioneers Adrian Piper, Yvonne Rainer and Mierle Laderman Ukeles, between others. The practice of the students and their personal urgencies on issues of public space and urban materialities will be integral part to the group discussion.

Language: English (German and any other languages welcome too)

 

 

Produzieren und Produzierenlassen. Kunst und künstliche Intelligenz

David Weber

„Jedes Zeichen bzw. jedes zum Aufbau eines künstlerischen Objekts verwendete Element [. . .] gehört abgrenzbaren und selektierbaren Repertoires an. [. . .]

Der repertoiretheoretische Aspekt ist [. . .] der Ästhetik wesentlich.

—Max Bense, „Einführung in die informationstheoretische Ästhetik“ (1969)

 

„The display of any program or combination of programs can be selected quickly

because of availability. This always exists“

—Richard Prince, „The 8-Track Photograph“ (1977)

 

„I feel like, lets give ourselves a little permission to think

about what is original content“

—Satya Nadella, CEO Microsoft (2023)

 

Im Lichte der jüngsten Entwicklungen künstlicher Intelligenz und ihrer Produktion kreativer Inhalte (Text, Bild, Sound, bald Video; ChatGPT, DALL-E, Stable Diffusion, u. a.) scheinen sich neuerlich und vehement Fragen nach dem Status von Kreativität, Originalität und der, kulturellen wie rechtlichen, Stellung von Künstler*innen zu stellen. Droht die Ersetzung, Rationalisierung und vielleicht Entrechtung kreativer, schöpferischer Arbeit in der nächsten Welle technologischer Entwicklung, die nach den Blue Collar-Arbeiter*innen industrieller Fertigung auch die (nach der Pandemie) gerade erst wiederbelebten Büros und Studios der White Collar Akteure und Kreativen Industrien erreicht?

Allerdings musste nicht auf Maschinelles Lernen und KI gewartet werden, um die Vorstellungen von menschlicher spontaner Kreativität und Schöpfung unter Druck zu setzen. Es gibt eine lange Vorgeschichte der Externalisierung von „Kreativität“ und künstlerischer Produktion. Raymond Roussel, Referenzfigur moderner wie postmoderner Ästhetik, legte 1935 in Comment jai écrit certains de mes livres (Wie ich einige meiner Bücher geschrieben habe) dar, dass sein Schreiben auf (sprach)technischen Verfahren beruhte: die „eingeschlossene Sonne“ (M. Foucault) seiner künstlerischen Produktion sollte gerade in anonymen, nicht-expressiven Operationen zum Scheinen kommen. Der Surrealismus schloss hieran an mit seinem Konzept der „écriture automatique“ (automatisches Schreiben). Duchamps Ready-made und seine neo-avantgardistischen Wiederaufnahmen verschieben das Kunst-Objekt ins Außen vorgefundener Repertoires und Combines (Rauschenberg). Walter Benjamin sah, zumal in Fotografie und Film, technische Reproduktion dergestalt am Werk, dass sie Hand anlegte an einen tradierten Werk-Begriff, und stellte dem exemplarischen Magier-Maler beispielhaft den Kameramann gegenüber als Operateur (wie der Chirurg) am technischen Gerät. Seit 1960 setzt die französisch-internationale Gruppe OuLiPo (R. Queneau, G. Perec, u. a.) ihrem Schreiben Vorgaben und Zwänge (man könnte auch sagen: prompts), die unvermittelte Spontaneität unterbinden und es stattdessen forciert formatieren sollen. Max Bense verstand in seiner informationstheoretischen, generativen Ästhetik seit den 1950er Jahren die Elemente einer künstlerischen Produktion als selektierte Einheiten eines vorhandenen Repertoires. Richard Prince bringt in den 70ern Konzepte der Pictures Generation auf den medienhistorischen Punkt, wenn er angesichts der Exposition gegenüber massenmedialen Inhalten eine „prior availability“ des Materials unterstellt. Post-Studio Art (J. Baldessari, L. Alloway, D. Buren) verlässt zu Beginn der 70er den Schutzraum institutionell wie gattungsmäßig eingehegter Kunst und exponiert sich einer Cloud-haften Diversität kultureller Kontexte. Donna Haraway schlägt in den 10er Jahren ein kompostorisches Produzieren vor, das gegebene Geschichten diverser Arten und Akteure kombiniert und hybridisiert. Und diese Liste ist gewiss unvollständig.

Das Generieren von Inhalten auf Basis maschinellen Lernens erscheint vor diesem Hintergrund kaum einfach als ein grober epochaler Bruch. Das wesentlich probabilistische Vorgehen (entlang antrainierter, gewichteter Wahrscheinlichkeiten) der Text- und Bildgeneratoren mag gerichtet sein auf eine durchaus problematische Effizienz in der Erzeugung von Evidenz und „Überredung“ der Nutzer*in angesichts der „erstaunlichen“ Resultate — tatsächlich scheint dieser Probabilismus, anstelle von „Expression, aber nahe am Interesse wesentlicher Stränge der Gegenwartskunst an kulturellen Formaten, Formatierungen, Rollen-Skripten und Genres — Probabilismus als Probe-Bohrungen in kulturellen Repertoires. Dabei sind die Werkzeuge und Produktionsmittel dieses Generierens nicht in der Intimität eines Künstler*innen-Studios beheimatet, sondern ausgelagert in eine unbestimmte Cloud, und ihr Funktionieren wird nicht „meisterlich“ beherrscht, sondern untersteht einem aus der Konzeptkunst bekannten Deskilling (L. Lippard) — im „kunstvoll“ effektiven Triggern der KI Maschinen des Prompt Engineering bleibt Schöpfung „genialisch“ nur in der Handreichung von Hilfsprogrammen wie Prompt Genius.

Das Seminar will danach fragen, wie die neue technologische Gestalt kreativer Produktivität zu bewerten ist — in Kontrast, aber auch in Kontinuität zu genuin künstlerischen, ästhetischen Tendenzen der Moderne und ihrer Nachfolge.