COMMENTS ON MY DIGITAL IDENTITY (2024/02)
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(Installation: Tinte und Gouache auf Textil, Drahtobjekte, getrocknete Rosen, Video (8 min 20 sec, Loop)
Aufgesplittert in eine Vielzahl digitaler Verkörperungen, fungiert der virtuelle Raum gleichzeitig als Ausschnitt des physischen Körpers sowie als Ansammlung multipler Identitäten und Kopien des Selbst.
Die glatte Oberfläche des Cyberspace stellt eine Erweiterung und Verlängerung der physischen Oberfläche des Körpers dar – eine Schnittstelle zwischen dem Selbst und einer materiellen Wirklichkeit. Fluide und ungreifbar verändert der Avatar ständig Form, Materialität, Aussehen – er löst sich vom fleischlichen Original und entwickelt ein Eigenleben. Die losgelösten Fragmente sind zugleich digi-tale Stellvertreter als auch Abjekte zwischen Lebendigem und Totem, fragilem Geschwür und überbordenen Informationsfluss. Eine Einschreibefläche von Emotionen, Verletzungen und Schmerzen.
Wir oszillieren zwischen materieller Existenz und immateriellen Repräsentation.
Was ist IRL? Was bedeutet im wirklichen Leben? Betrachten wir die Schnittstelle zwischen unserer physischen und digitalen Umgebung ist alles miteinander verbunden: neue Realitäten, intra- und extravirtuelle Effekte.
Virtuelle Reaktionen imitieren in einem endlosen Loop physische Aktionen, überladen diese mit Bedeutung um sie im gleichen Schritt wieder zu ent-werten.
Off(line) ich folge dir, also folge mir auch.
Eine 2012 online gestellte Videoperformance, geht viral und macht Zarah Abraham unbeabsichtigt zu einem international millionenfach geteilten, virtuellen Mysterium. Ihre Posts, #myart, ihr Körper, ihre Daten werden bis heute weiterverbreitet und reproduziert.
Sie fragen nach Modetipps oder ob ich einen Zeichenkurs in Pakistan geben kann.
In dem andauernden Projekt COMMENTS ON MY DIGITAL IDENTITY dokumentiert Zarah Abraham die Interaktionen ihrer digitalen Identität und sammelt die Reaktionen der User:
Love_Fans
Spam
Hate_Sexism
Fake News_Death
In einem Prozess der Aneignung zieht Zarah Abraham diese Zuschreibungen aus dem digitalen Raum über ihren Körper. Halb transparent, fast zart legen sich über Jahre gesammelte Verehrung, Hass, Spam und Fake News gleich einer zweiten, textilen Haut, über den Körper. Sie erzeugen ein Wechselspiel zwischen der durchscheinenden Epidermis und den eindeutig dem virtuellen Universum zugehörigen Emoticons. Die Oberflächlichkeit der Social Media wird zu der Oberfläche des Körpers – intra- und extravirtuell verschmelzen. Das Digitale wird dabei zu einer Erweiterung des Selbst, es umhüllt den Körper wie eine weitere Haut.
In der Videoperformance und Reinterpretation des ursprünglich viral gegangenen Videos reflektiert die Künstlerin diese abgespaltene Existenz ihrer selbst, versucht diese wieder an und über sich zu ziehen und
sich gleichzeitig von den ihr bestimmten Aufmerksamkeit abzugrenzen und zu schälen. Das Archiv digitaler Emotionen wird in den physischen Raum transferiert und dabei haptisch und visuell erfahrbar.
Von einer künstlichen Intelligenz generierte Stimmen dialogisieren mit der Künstlerin in einem endlosen Loop zwischen physischen und digitalen Raum. Zu hören sind die archivierten Kommentare sowie eine KI, die mit der eigenen Stimme der Künstlerin deren Geschichte erzählt.
Meine Geschichte steht für viele.
Zarah Abraham hinterfragt auch die Möglichkeiten dieser digitalen Existenzen. Was passiert mit ihrem digitalen Ich, wenn es in Vergessenheit gerät, wenn es glitcht, wenn es sich selbst überlassen wird?
Plötzlich bin ich tot. ich leider in einem Hurricane gestorben. Aber mein digitales Ich lebt weiter – es altert nicht, es repliziert sich nur vielfach weiter. Kopieren und Einfügen, Pixel gehen verloren und werden hinzugefügt.
Unsere digitalen Identitäten leben in der Unendlichkeit. Immer und für immer online. Existenz im Cybergrave.
Text von Pauline Stroux