In den Schaukästen der Lost Weekend Gallery wird vom 22. März bis 17. April 2021 eine vierteilige Installation mit den Werken der Künstler*innen Julia Emslander und Hayato Mizutani gezeigt.
Die Ausstellung geht der Frage nach verschiedenen künstlerischen „Strategien“ der Realitätsübersetzung nach, sowohl in den formalen Möglichkeiten verschiedener Medien als auch in der subjektiv-philosophischen Interpretation einer nicht wertenden Erfassung der gegebenen Realitäts- und Fiktionspotenziale, wie Sprache, Material, Assoziation u.a.
Auch, wenn die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Bild- und Konzeptgegenständen bereits eine Entscheidung voraussetzt, eint diese beiden, auf den ersten Blick sehr verschiedene künstlerischen Positionen, eine Tendenz zur Transformation, welche weder der Affirmation, noch der Gesellschaftskritik zuzuordnen ist und in ihrem beinahe dokumentarischen und zeitgleich ambigen Charakter umso tiefgreifender wirken. Das Einbeziehen der Ausgangslage des Rezipient*innen, welche das breite Spektrum von der optischen Perspektive bis hin zu den Prägungen individueller und kollektiver Art in sich trägt, spielt eine wichtige Rolle in diesen Installationen, insbesondere ausgehend von dem Ausstellungsort als öffentlicher Raum und den damit verbundenen Gegebenheiten, wie die Vielfalt der rezeptionsästhetischen und räumlichen Wechselwirkung der Werke und zu ihren Betrachtern.
So ist beispielsweise das Motiv des erzählerisch dargestellten Bildsujets von Julia Emslander umso schärfer zu erkennen, desto größer die Distanz zu den Kästen ist. Bei genauerer Betrachtung sowie Annäherung entsteht ein Flimmern und eine Unschärfe. Umgekehrt verschwimmen die Darstellungen von Hayato Mizutani mehrteiligen Installationen je mehr Abstand der Betrachter dazu einnimmt. Insgesamt über 1000 Blätter, die Mizutani aus seinen tagebuchartigen konzeptuellen Arbeiten für diese Installation herausgelöst und in eine horizontal lesbare Chiffre verwandelt hat, füllen die fast drei Meter hohen Schaukästen. Diese Erfahrung macht der Betrachter nicht nur durch die räumliche Distanz oder Nähe zu den Installationen, sondern auch durch seine eigene Reaktion auf die dargestellten Inhalte im Sinne einer Selbsterkenntnis.
In Julia Emslander zweiteiliger Installation „There lies a beauty in the catastrophe wich drives and crashs inside of me.“ bezieht sich die Künstlerin auf die Ästhetik von Spuren, welche ein zufälliger Aufprall und eine Entladung von Energie mit sich tragen können. Poetisch und dramatisch inszeniert sie in den Schaukästen des Lost Weekends großformatige Prints von demolierten Autos bzw. Metallschäden. Die Ambivalenz des Vorgangs aus den abgebildeten folgenschweren Unfälle eine künstlerische Darstellung abzuleiten, weist auf die Manipulierbarkeit des (nicht nur) reproduzierbaren Bildausschnittes hin. Mit Metallrohren klemmt Julia Emslander zwei Malereien (in den Formaten je H80 x B60 cm) in Asphalt (Pigment) auf Aluminium in Aluminiumrahmen an die Scheiben der Vitrinen. Wie Psychogramme oder Detailaufnahmen des Crashs drücken sich diese dem Betrachter entgegen. Die einzelnen Aluminum-Platten wurden von der Künstlerin manuell und mit viel Kraftaufwand abgeschliffen und zerkratzt. Der Crash, der Zufall, die Wunden wie Zeichnungen der Spuren werden rekonstruiert und dekonstruiert. Reflektierende, scheinende und schimmernde Metalloberflächen kontrastieren das matte Aspahltpigment samtig weich.
Hayato Mizutani stellt sich mit seinen Installationen der Herausforderung zwei seiner konzeptionellen Buchprojekte “If these distances I ran were a straight line home” und “Das sechste Jahr” in ein räumlich darstellbare Form umzusetzen. “If these distances I ran were a straight line home” ist eine konzeptionelle Arbeit in Buch und Audioformat und erzählt auf eine für Mizutani charakteristische klar strukturierte und zugleich emotional eindringliche Art und Weise von einer fiktiven Reise. Einer Rückreise nach Hause, die zugleich als Metapher für die Selbsterkundung und Verrottung steht. Auf knapp 800 Blätter sind die Anzahl der zurückgelegten Kilometer aus Hamburg, wo Mizutani Kunst studiert hat, nach seiner japanischen Heimatstadt Kanagawa, sowie Datum und manchmal auch Angaben zu den Aufenthaltsorten, wie Grenzübergängen zu lesen. Die zweite Installation „Das sechste Jahr” zeigt die Sammlung täglich neu entdeckter, fremder Wörter, welche als Sätze im Kontext aufgeschrieben werden. Der Titel der Arbeit bezieht sich auf das sechste Jahr, das der Künstler in Deutschland verbracht hat. Durch das Protokollieren der (fremden) Sprache und der Transformation der einzelnen Wörter und Sätze in konzeptionelle Arbeiten bietet uns Hayato Mizutani einen Perspektivenwechsel und zugleich eine Strategie der Realitätsübersetzung, welche wie er sagt, durch die Pandemie eine neue Ebene gewonnen haben. So als würden diese ungewöhnlichen Tagebücher das Fremde, nun auch in unserem Alltag begreiflicher und ertragbarer machen.
(Text und Konzept: Tinatin Ghughunishvili-Brück)