Wörter in anderer Sprache können geheimnisvoll sein, eine unsichtbare Barriere schaffen, aber auch zum Schlüssel in eine neue Welt werden. Die Musik ist der Sprache einen Schritt voraus – sie ist eine Universalsprache, deren Wörter und Sätze überall verstanden werden können.
Gregor Hildebrandt (* 1974) beschäftigt sich in seinen Arbeiten seit über 20 Jahren mit Musik in Form von analogen Datenträgern; Kassetten (-bestandteile) und Schallplatten werden zur zentralen materiellen wie inhaltlichen Komponente vieler seiner Werke. Unzählige Video- und Kassettentapes auf Leinwand verbinden sich zu Bildern mit kalligrafisch oder floral anmutenden Motiven oder geometrischen Mustern, verformte Vinyl-Platten stapeln sich zu Säulen und Wänden. Manches Mal werden sie auch zum Rohstoff einer Hommage an uns täglich begleitende Materialien wie Holz oder Textil.
In vielfältiger Gestalt widmet sich Gregor Hildebrandt den kulturellen und alltäglichen Elementen der ihn umgebenden Realität. Die Musik wird dabei zum verbindenden Element und Erinnerungsmedium.
Die Ausstellung ist eine Komposition von Werken, die unterschiedliche Passagen aus dem Leben und Schaffen des Künstlers verknüpfen. Die dreizehn Balken mit hölzerner Maserung aus der Installation Ich habe Stimmen gehört wirken wie ein Schnitt aus einem Baumstamm. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Jahresringe jedoch als immer weiter um das Rädchen aufgedrehte Kassettenbänder. Das Holz-Motiv begleitet den Künstler schon seit einigen Jahren; beginnend mit der Baumstammschallplatte (2003), in der Hildebrandt die Verwandtschaft zwischen den natürlichen Strukturen der Jahresringe und den Rillen einer Platte aufgreift.
Im Kern einiger Stämme verbirgt sich ein 1-Cent-Stück – und folgt man dem Band über den Garten der
Akademie der Bildenden Künste, findet sich dort im Professorenatelier die Fortsetzung des
Kupferregens: auf jedem Astloch des Parkettbodens liegt ebenfalls eine kleine Münze. Glückssymbolik
und –rituale (wie Wimpern) – Elemente gesellschaftlich fest verwurzelter Alltagstraditionen – sind
ebenso wiederkehrende Themen in Hildebrandts Oeuvre.
In der Serie Geschirrhandtücher meines Vaters fügen sich farbige Anfänge und Enden von
Kassettenbändern sowie durchsichtige oder bespielte Tonbänder zu Karo- und Fischgrätmustern, die
formal an die konstruktivistischen Werke von Mondrian oder Konrad Luegs Pattern Paintings erinnern.
Ebenso wie der Bezug zur Geschirrtuchsammlung seines Vaters ist das runde Schallplatten-Mosaik eine Referenz an Hildebrandts Heimatort Sulzbach, denn es setzt sich nach dem Maßwerk eines Kirchenfensters der dortigen Friedhofskapelle zusammen.
Vor zwei Monaten erst entstand während einer Performance bei Ludwig Beck im Rahmen der Münchner Initiative VARIOUS OTHERS das Positiv des Rip-Off-Bildes Die Notwendigkeit der Notwendigkeit. In der Ausstellung ist nun auch erstmals das – im Werkprozess immer dazugehörige – Gegenstück zu sehen.
Unabhängig von ihrer Erscheinungsform ist all diesen Werken eines gemeinsam: ihre Stimme ist verstummt, konserviert auf entrollten Magnetbändern und gepresstem Kunststoff. Und doch ist sie präsent und entfaltet eine unsichtbare weitere Dimension, zu deren Entschlüsselung Hildebrandt – ähnlich wie Ingmar Bergmans Filmfigur Ester – von Zeit zu Zeit Hinweise hinterlässt.