Von der Plünderung der Lebensquellen zum ‚guten Leben‘ (Buen Vivir)

(Post)Extraktivismus in Kunst und Theorie
Seminar (FK-T3, KP D.04.09, KP D.05.09, FU-Z1)

Dr. Susanne Witzgall

 

Raum E.O1.23, Akademiestr. 2

Zeit Mittwoch 14.00–16.00 Uhr, Beginn: 25.10., weitere Termine: 04.11. (optionale Exkursion), 08.11., 15.11., 22.11., 29.11., 06.12.23, 13.12., 10.01., 17.01, 24.01., 31.01.24                      
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Grundsätzlich umfasst Extraktivismus ein Kalkül der Akkumulation durch Enteignung […], ein Entzug ohne entsprechende Einlage (außer in Form von Müll, Krankheit und Tod), welches alles, was es berührt […] in ökonomischen Wert verwandelt und alles Verfügbare in seinen Dienst stellt einschließlich Maschinerien, Architektur, Arbeit, Finanzen, Logistik und Medien. (T.J. Demos)

 

Extraktivismus meint nicht nur eine Form der wirtschaftlichen Aktivität, die auf der intensiven Ausbeutung von natürlichen Ressourcen basiert. Darunter ist auch ein bestimmtes Denksystem und Weltverständnis, ein „extraktivistisches Mind-Set“ (Anna J. Willow) zu verstehen, welches nicht zuletzt die rasante Zerstörung von Biodiversität, fruchtbarer Erde, Klimastabilität und menschlicher Lebensräume befördert. In dem Seminar soll sich diesem derzeit so viel diskutierten Begriff kritisch angenähert werden. Anhand künstlerischer und theoretischer Positionen wird zunächst besprochen, warum der Extraktivismus als „inhärente Dimension des Kapitalismus“ (Horacio Machado Aráoz) bezeichnet werden kann, welche Strategien und Machtdynamiken bei ihm am Werk sind und welche dystopischen Zukunftsszenarien er heraufbeschwört.

 

Die zweite Hälfte des Seminars widmet sich schließlich der Frage, wie aus der extraktivistischen Hegemonie ausgebrochen werden kann. Wir analysieren zeitgenössische künstlerische Arbeiten, theoretische und aktivistische Ansätze, die eine Dekolonialisierung des extraktiven Blicks vorantreiben, gegen die Ausbeutung existentieller Lebensgrundlagen kämpfen und alternative post-extraktivistische Visionen entwerfen. Dabei steht nicht nur das – insbesondere in den westlichen Ländern vorherrschende – Verständnis von Natur als passive Ressource, sondern auch die moderne Vorstellung von ‚Entwicklung‘ auf dem Prüfstand. Das Seminarprogramm umfasst unter anderem künstlerische Arbeiten von Simon Denny, Ursula Biemann, Prabhakar Pachpute, Sophie Al Maria, Carolina Caycedo und Más Arte Más Accións sowie Texte von Elizabeth Povinelli, Kathryn Yusoff, Marcerena Gómez-Barris, Eduardo Gudynas, Alberto Acosta, Maria Puig de la Bellacasa und anderen.

 

Parallel zu dieser Lehrveranstaltung findet im Wintersemester eine vierteilige online-Vortragsreihe mit dem Titel (Resisting) Extractivism statt, die bestimmte Themenschwerpunkte und Fragestellungen des Seminars vertieft. Der Besuch der Vortragsreihe wird empfohlen ist jedoch keine Voraussetzung für die Teilnahme dieser Veranstaltung und umgekehrt. 

 

 

Materie als Akteur

Einführung in den neuen Materialismus

Vorlesung/Seminar (FK-T2, KP D.04.09, KP D.05.09, FU-Z1)

Dr. Susanne Witzgall

 

Raum E.O1.23, Akademiestr. 2

Zeit Dienstag 14.00–16.00 Uhr, Beginn: 24.10., weitere Termine: 07.11., 21.11, 05.12., 19.12., 09.01., 16.01., 23.01., 30.01.
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Unter dem Begriff des Neuen Materialismus werden eine Reihe – auch im Kunstbereich – sehr einflussreiche und heterogene Theorieansätze zusammengefasst, die insbesondere seit Anfang des 21. Jahrhunderts der Materialität unserer Wirklichkeit wieder verstärkte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Grundlegend ist dabei ein neues Verständnis von Materie. Diese wird nicht mehr als etwas Solides und Passives angesehen, das auf die gestaltende Kraft der Form oder den belebenden Funken der Idee, des Geistes oder eines anderen spirituellen Zusatzes wartet, sondern als Akteur mit eigener Wirkmacht und transformativen Potentialen. Als Gründe für den disziplinübergreifenden „material turn“ wird vielfach eine Erschöpfung linguistischer und (sozial)konstruktivistischer Ansätze der Vergangenheit angeführt, die immer häufiger als inadäquat für die Beschreibung, das Verständnis und die Erkenntnis der gegenwärtigen Wirklichkeit angesehen werden. Diana Coole und Samantha Frost verweisen beispielsweise auf die drängenden ökologischen, demographischen, geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen der aktuellen Gesellschaft, zu deren Verständnis die rein textbasierten Ansätze wenig beitragen könnten. Stattdessen sehen sie „die Hervorhebung materieller Faktoren und die Rekonfiguration unseres Verständnisses von Materie als Voraussetzung für jegliche glaubwürdige Darstellung der Koexistenz und ihrer Bedingungen im 21. Jahrhundert an.“

 

Die einführende Lehrveranstaltung, die als eine Mischform von Vorlesung und Seminar angelegt ist, erläutert die zentralen Begriffe und Konzepte des Neuen Materialismus und stellt wichtige ausgewählte Positionen dieser Denkrichtung vor – darunter Jane Bennett, Karen Barad, Tim Ingold, Rosi Braidotti, Stacy Alaimo und Donna Haraway. Im Anschluss daran sollen Kritiker*innen des Neuen Materialismus zu Wort kommen sowie die Bedeutung neomaterialistischer Ansätze für die zeitgenössischer Kunst diskutiert werden.