Andrea Bowers, Grief Hope, 2020

Affekte im Anthropozän (2024/25) 

 

Nach der Philosophin Rosi Braidotti drückt sich „unsere aktuelle Verfasstheit“ in einer “negativen affektiven Ökonomie” aus und der Soziologe Stephan Lessenich spricht gar von einer „Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs.“ Die Verschärfung der Umweltkrisen als Folge des extraktiven Kapitalismus und des „kolonialen Bewohnens der Welt“ (Ferdinand) ist nicht nur für anhaltende Traumata im sogenannten 'globalen Süden‘ verantwortlich. Sie führte gerade in den letzten beiden Jahrzehnten in Kombination mit zunehmenden sozialen und kriegerischen Konflikten auch bei vielen Menschen westlicher Staaten zu starken emotionalen Reaktionen und belastenden affektiven Gestimmtheiten. Gleichzeitig lässt sich in Gesellschaften des 'globalen Nordens' paradoxer Weise eine kollektiv produzierte „strukturelle Apathie“ (Slaby), eine emotionale Distanzierung von den zerstörerischen Folgen kapitalistischer Lebensweisen ausmachen.

 

Mit dem Fortschreiten des ‚Anthropozäns‘ zeichnen sich veränderte menschliche Gefühlslagen und affektive Aufladungen ab, deren Eigenheiten und Widersprüche derzeit zunehmend in den Fokus von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen rücken sowie neue Begriffe und Beschreibungsmodi einfordern. Das cx widmet sich im Wintersemester 2024/25 und Sommersemester 2025 sowohl alten, wie neuen oder neu interpretierten Emotionen und Affekten in der gegenwärtigen „Zeit der Ungeheuer, in der das Alte stirbt, und das Neue noch nicht geboren werden kann“ (Gramsci). Während sich die Vorträge und das Seminar im Wintersemester auf die Analyse umweltbezogener Emotionen und Affekte konzentrieren, ohne die die gegenwärtigen sozialen Dynamiken und Natur-Kultur-Verhältnisse nicht verstanden werden können, beleuchtet das Sommersemester die Rolle der Technologie bei der Evozierung, Vermittlung und Modulierung von Affekten im ‚Anthropozän‘.

 

Foto oben (c) Andrea Bowers, Grief Hope, 2020

 

Online / in Englisch
22. Oktober, 18 Uhr (MESZ)
Ökologische Trauer und Hoffnung
Joshua Trey Barnett, Assistenzprofessor am Department of Communication Arts and Sciences, Pennsylvania State University
Andrea Bowers, Künstlerin, Los Angeles

 

Joshua Trey Barnett ist Assistenzprofessor für “communication arts and sciences” an der Pennsylvania State University und untersucht die Rhetorik der weltlichen Koexsistenz. Er ist Autor des Buches Mourning in the Anthropocene: Ecological Grief and Earthly Coexistence (2022), das den Tarla Rai Peterson Book Award in Environmental Communication gewann, und ist Herausgeber von Ecological Feelings: A Rhetorical Compendium (2025). Seine Forschungen wurden 2022 mit dem Karl R. Wallace Memorial Award und 2021 mit dem Early Career Award ausgezeichnet, die beide von der National Communication Association verliehen werden. Außerdem erhielt er 2024 den Faculty Excellence in Sustainability Award vom Penn State’s College of the Liberal Arts. Er schreibt gegenwärtig ein Buch über die rethorische Dimension ökologischer Fürsorge (Care).

 

Die Künstlerin Andrea Bowers dokumentiert und erweitert seit mehr als zwei Jahrzehnten die Arbeit aktueller und ehemaliger Aktivist*innen. Ihre Multimedia-Praxis schließt Zeichnungen, Video, Skulptur und Installationen ein, welche die Erfahrungen von Menschen in den Mittelpunkt stellen, die ihre Zeit und Energie dem Kampf für Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte, für Gender-, Umwelt, Arbeits- und Einwanderungsgerechtigkeit widmen, und von solchen, die direkt von systemischer Ungleichheit betroffen sind. Mit der Zeit wurden ihre verschiedenen Werkgruppen ein Dokument für die sich verändernde Sprachen, Privilegien und Dynamiken sozialer Gerechtigkeitsbewegungen. 2021 wurde eine große Überblicksausstellung von Bowers Arbeiten am MCA Chicago, kuratiert von Michael Darling und Connie Butler, und 2022 im Hammer Museum in Los Angeles gezeigt. Zu anderen jüngeren Einzelausstellungen gehören "Grief and Hope," Museum Abteiberg, Mönchengladbach and "Light and Gravity," Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen. Im September 2022 eröffnete Bowers eine Einzelausstellung mit neuen und existierenden Arbeiten in der Galleria d'Arte Moderna di Milano als Teil eines Ausstellungsprogramms der Fondazione Furla. Bowers wird von Vielmetter Los Angeles, der Andrew Kreps Gallery, von Kaufmann Repetto, and der Jessica Silverman Gallery vertreten.

 

Akademie der Bildenden Künste München, Auditorium E.EG.28 / in Deutsch
12. November, 18 Uhr (MEZ)
Das Ungefühlte der Gesellschaft
Jan Slaby, Professor für Philosophie des Geistes und Philosophie der Emotionen, Freie Universität Berlin

 

Jan Slaby ist Professor für Philosophie des Geistes und Philosophie der Emotionen an der Freien Universität Berlin. Er ist Teilprojektleiter am DFG-Sonderforschungsbereich 1171 Affective Societies. Dort arbeitet er gemeinsam mit Jandra Böttger und Henrike Kohpeiß zu den gesellschaftlichen Affektdynamiken, die eine vertiefte Befassung mit der globalen Klima- und Umweltkrise verhindern – Dynamiken des Ungefühlten. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören die Monographie Gefühl und Weltbezug (mentis 2008), das Handbuch Critical Neuroscience (hg. mit Suparna Choudhury, Wiley-Blackwell 2012), der Band Affective Societies: Key Concepts (hg. mit Christian von Scheve, Routledge 2019). Kürzlich erschien der Artikel „Structural Apathy, Affective Injustice, and the Ecological Crisis“ (Philosophical Topics 51, S. 63-83).

 

Online / in Englisch
26. November, 18 Uhr (MEZ)
Schmerz und Empathy
Marianna Simnett, Künstlerin, Berlin/New York

Marianna Simnett ist eine multidisziplinäre Künstlerin, die in Berlin und New York lebt. In ihren psychologisch aufgeladenen Arbeiten, die sie selbst und die Betrachter*innen herausfordern, imaginiert Simnet radikale Welten, die mit ungezähmten Gedanken, seltsamen Geschichten und Begehren angefüllt sind. Simnetts Arbeiten wurden international in Einzelausstellungen gezeigt, beispielsweise im Hamburger Bahnhof, Berlin (2024), in der LAS Art Foundation, Berlin (2023), der Société, Berlin (2022), im Institute of Modern Art, Brisbane (2019), in der Kunsthalle Zürich, Zürich (2019), im MMK, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt (2018), The New Museum, New York (2018) und in der Zabludowicz Collection, London (2018). Ausgewählte Gruppenausstellungen umfassen The Butterfly Dream, Centre d’Art Contemporain Genève (2023), die 59ste Venedig-Biennale: The Milk of Dreams (2022), Espressioni: The Epilogue, Castello di Rivoli, Turin (2022) und Prize of the Böttcherstraße, Kunsthalle Bremen (2022).