Das künstlerisch-philosophische Forschungsprojekt „DisIgnoranz – Sehen im rassistischen Nebelfeld“ steht für eine Auseinandersetzung mit Ästhetik und Bildpolitik im Kontext von rechtsextremer, antisemitischer und rassistischer Gewalt. Im Zentrum stehen dabei die Lücken und Leerstellen der kollektiven Erinnerung an solche Gewalttaten vor allem im städtischen Raum München. Welche rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten werden wie und von wem erinnert – und welche Ausdrucksformen werden dazu gewählt? Was vermitteln diese Ausdrucksformen und was lassen sie aus? Und was gilt für wen überhaupt als erinnerungswürdig und warum?
Ausgangspunkt des Projekts ist die Annahme, dass Wissen über die normalisierenden Voraussetzungen von rassistischer und antisemitischer Gewalt unterschiedlich vorhanden ist. Je nachdem, welche Erfahrungen Menschen in ihrem Alltag machen, werden sie Unterschiedliches zur sozialen Verankerung solcher Gewalt zu sagen haben. Deshalb geht es im Projekt auch darum, von migrantischen und postmigrantischen Perspektiven zu lernen – vom situierten Wissen von Betroffenen. Welche Ausdrucksformen entwickeln sie? Und was bedeutet es für Personen, die nicht von der Normalisierung rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffen sind, sich mit diesen Ausdrucksformen auseinanderzusetzen und möglicherweise mit ihnen zu arbeiten? Welche Gefahren verbergen sich umgekehrt hinter einfachen Unterscheidungsmustern zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen? Letztlich geht es im Projekt also auch um die Entwicklung eines Verständnisses von Erinnerung als einem Prozess, der offen und streitbar bleibt und der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Vulnerabilitäten im sozialen Raum gerecht werden kann.
Diese Fragen und Herausforderungen werden im Projekt einerseits durch philosophische Analyse und andererseits in künstlerischer Forschung bearbeitet. In der gemeinsamen Arbeit mit Studierenden der Akademie sollen diese für die komplexen Bedingungen von rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie deren Normalisierung sensibilisiert werden. Damit trägt das Projekt auch zur politischen Bildung von Studierenden bei, die dieses Wissen später in die Bildungsarbeit (Schule, Erwachsenenbildung etc.) weitertragen können.
Im Rahmen der Projektlaufzeit von Anfang 2024 bis Ende 2026 finden verschiedene Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Workshops, gemeinsamen Ausstellungsbesuchen, Seminaren und Stadtführungen statt. Unter anderem waren bisher die Künstlerinnen Cana Bilir-Meier und Natascha Sadr Haghighian zu Gast, um die Arbeit am Projekt zu unterstützen. In enger Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum ist die Entwicklung einer Präsentation der Projektergebnisse vorgesehen, die Anfang 2026 dort gezeigt werden soll. Abschließend ist eine größere künstlerisch-theoretische Publikation in Planung.
Unter dem Titel „Ästhetische Interventionen in eine rassistische Normalität“ ist "DisIgnoranz" Teil des Forschungsverbunds für Gegenwartsanalysen, Erinnerungspraxis und Gegenstrategien zum Rechtsextremismus in Bayern (ForGeRex), der vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird und neun Teilprojekte an elf bayerischen Universitäten und Hochschulen sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen umfasst. Der Forschungsverbund „ForGeRex" untersucht den Rechtsextremismus in Bayern. In einem interdisziplinären Ansatz werden die spezifischen Erscheinungsformen des Phänomens, seine Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Alltag sowie Strategien gegen den Rechtsextremismus untersucht. Konkret liegt der Fokus auf aktuellen Entwicklungen, Akteurinnen (m/w/d), Strukturen und Diskursen, aber auch historische Perspektiven werden berücksichtigt.
Initiiert wurde der Forschungsverbund von Prof. Dr. Martina Ortner und Prof. Dr. Clarissa Rudolph von der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der OTH Regensburg.
Personen
Fachbereich Philosophie
Prof. Dr. Marina Martinez Mateo | Lehstuhl für Medien- und Technikphilosophie
Rime Abd Al Majeed | Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt DisIgnoranz
Fachbereich Kunstpädagogik
Prof. Sandra Schäfer | Bild&Raumpolitiken in der Kunstpädagogik
Manuela Unverdorben | Künstlerische Mitarbeiterin
8/9. Mai 2025
VA “Seeds of Regression. Theses on the Relation of Liberalism and Fascism” an der HFG Offenbach, Vortrag von Rime Abd Al Majeed “Between Remembrance and Erasure: The National Self-Image and the Persistence of Racism”
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06.05.2025 2pm
Erinnerungspoltischer Stadtrundgang zu Münchner Erinnerungsorten an rechten Terror
I Robert Andreasch vom a.i.d.a. Archiv
Stadtrundgang mit anschließender Nachbesprechung
NSU-Tatort: Ermordung Theodoros Boulgarides, Oktoberfestattentat,
Brandanschlag Liverpool Diskothek: Tod Corinna Tartarotti
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17.12.2024 10am – 3:30pm
Kontinuitäten des Widerstands und der Resilienz
I Cana Bilir-Meier
Filmvorführung, Künstlerinnengespräch (m/w/d) und Workshop
Die Künstlerin und Filmemacherin Cana Bilir-Meier beschäftigt sich in ihren künstlerischen Praktiken und Projekte unter anderem mit den Perspektiven von Überlebenden, Betroffenen und Angehörigen von Opfern rechter Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Polizeigewalt. 2018 gründete Cana Bilir-Meier die Initiative an das Gedenken an ihre Tante, die Dichterin, Aktivistin und Arbeiterin Semra Ertan und hat 2020 den Gedichtband „Mein Name ist Ausländer – Benim Adım Yabacı“ mitherausgegeben. Im Rahmen des Vortrags und Workshop wird auch ihr Film „This Makes Me Want to Predict the Past“ (2019) besprochen, der sich um den rechtsterroristischen Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München von 2016 dreht.
2024 hat sie gemeinsam mit der Kuratorin Chana Boekle ein temporäres Denkmal im öffentlichen Raum in Dortmund realisiert. Das Kunstwerk ist in enger Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen, Überlebenden und Familien von Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt entstanden, die an der Gestaltung der temporären öffentlichen Skulptur unmittelbar beteiligt waren. Im Zentrum des Werks stehen ihre Erfahrungen, Kämpfe, Forderungen und Wünsche. Im Workshop an der Akademie werden die Teilnehmerinnen (m/w/d) die Entstehung und Realisierung des Projekts „Stopp.Zuhören.Begegnen“ kennenlernen. Rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten stellen keine Einzelfälle oder Ausnahmen dar. Sie sind vielmehr integraler Bestandteil der Geschichte und Gegenwart dieses Bundeslandes. Gleichzeitig gibt es eine lange Geschichte der Kämpfe und des Widerstands gegen diese Gewalt und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie hervorbringt – Kämpfe für Anerkennung und Gerechtigkeit.
Cana Bilir-Meier studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien sowie an der Sabancı-Universität in Istanbul. Sie arbeitet als Filmemacherin, Künstlerin und Kunstpädagogin in München und Wien. 2018 hat sie die Initiative zum Gedenken an Semra Ertan mitbegründet und 2020 den Gedichtband „Semra Ertan. Mein Name ist Ausländer / Benim Adım Yabancı“ mit herausgegeben. Sie war 2024 Stipendiatin des Internationalen Residency Programs in Paris, Cité Internationale des Arts. Ihre filmischen, performativen und textbasierten Arbeiten bewegen sich an den Schnittstellen zwischen Archivarbeit, Textproduktion, historischer Recherche und zeitgenössischer Medienreflexivität oder Archäologie. Sie reflektiert in ihrer Arbeit die soziale und kulturelle, aber auch strukturelle Teilhabe aller Menschen in unserer Gesellschaft.
In diesem Zusammenhang wird am 05.11.24 die Installation der Künstlerin Talya Feldman im NS-Dokumentationszentrum besucht.
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14.05.2024 10am – 1pm
Sehen und Nicht-Sehen - Strategische Ignoranz
I Natascha Sadr Haghighian
Workshop
Wie können wir uns dominanten oder suggerierten Sichtweisen entziehen und strukturellen Rassismus erkennen lernen? Im Workshop wird anhand von Beispielen, Ignorieren und Erkennen als politische Handlungen besprochen. Es geht um verschiedene Modi des Sehens als eine umkämpfte Verhandlung von Anerkennung und Ignoranz, die sowohl willentlich als auch bedingt ist. Diese Verhandlung ist notwendig, um ein Leben jenseits einer rassistischen Realität vorstellbar zu machen.
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13.05.2024 6 - 9pm
Was ich noch nicht erkenne, jetzt in diesem Moment
I Natascha Sadr Haghighian
Vortrag & Talk
„Wir versuchten, über diese Störung hinwegzukommen, indem wir die Wahrnehmung von rassistischen Strukturen zu unterdrücken lernten. Dadurch wurde auch die Entwicklung einer Gemeinsamkeit, eines Austausches über die Erfahrung von Rassismus erschwert. Sprachen, die entwickelt wurden, um die eigene Wahrnehmung zu artikulieren, Literatur, Lieder – sie hatten höchstens street credibility in Deutschland, wenn sie überhaupt registriert wurden. Jede (m/w/d) war in der epistemischen Blase der Integration als Ausländerin (m/w/d) alleine. Jede Form der Zusammenrottung wurde als gescheiterte Integration erachtet.“
aus Was ich noch nicht erkenne, jetzt in diesem Moment, HaFI 019, 2023
In „Was ich noch nicht erkenne, jetzt in diesem Moment“ erzählt Natascha Sadr Haghighian von Erkenntnis und strategischer Ignoranz im deutschen strukturellen Rassismus. Das Wie und Warum des „Nicht-Sehens“ des NSU (der neonazistischen Organisation, die von 2000 bis 2011 in Deutschland rassistische Morde begehen konnte ohne „entdeckt“ zu werden) wird beispielhaft nachgezeichnet. Mit Texten, Liedern und kollektiven Praktiken wird der manipulierenden Realität des Unwissens begegnet.
SoSe 25
“Von der Kunst zu verweigern. Vom Kunststreik bis zum feministischen Streik und wie sich aus Verweigerung soziale Teilhabe bestimmen lässt.”
Lehrstuhl Philosophie | Rime Abd Al Majeed
Verweigerung, Bruch und Sabotage sind Formen und Möglichkeiten des Umgangs mit bestehenden Verhältnissen und damit Formen des Widerstands, die einer anderen Logik folgen als die üblichen Ein- und Ausschlussbewegungen gesellschaftlicher Teilhabepraxis. Das Seminar widmet sich der Frage nach den Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe anhand verschiedener Streikformen. So sollen verschiedene Kunststreiks, aber auch feministische Streiks analysiert und insofern eine neue Praxis gesellschaftlicher Teilhabe bestimmt werden. Diese Streikformen hinterfragen den Nexus Arbeit-Eigentum und damit auch die gegenwärtige Logik von ständiger Kreativität und Produktivität. Gleichzeitig soll herausgearbeitet werden inwiefern Verweigerung eine aktive Praxis darstellen kann und nicht etwa ein Nichts-Tun ist.
“Künstlerische Untersuchungsformen als politische Intervention”
Franziska Wildt
Das Seminar betrachtet künstlerische Arbeiten, die sich gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt und die mit ihr verbundenen Ideologien positionieren. Es fragt nach den ästhetischen Mitteln und künstlerischen Verfahren, mit denen diese Arbeiten kritisch untersuchen und sichtbar machen, wo diese Gewalt gesellschaftlich geleugnet und ignoriert wird. Es geht also um künstlerische Formen der „Gegenuntersuchung“, die in einem politischen und epistemischen Sinne in die demokratische Gesellschaft, ihre Institutionen und ihre Öffentlichkeit, hineinwirken.
Entsprechende Arbeiten finden sich heute in allen Sparten der Kunst. Dazu zählen etwa Tuğsal Moğuls Theaterstück „And Now Hanau“. Forensic Architectures Installation „ Three Doors “, Cana Bilir-Meiers Film „This Makes Me Want To Predict The Past“, Talya Feldmans Videoinstallation „After Halle“, Kathrin Rögglas Roman „Laufendes Verfahren“ und Dan Thy Nguyen Hörspiel „Das Sonnenblumenhaus". Ausgehend von diesen und weiteren Arbeiten sowie mit Rückgriff auf ausgesuchte theoretische Texte betrachtet das Seminar künstlerische Mittel und Verfahren der Gegenuntersuchung in ihrer gegenwärtigen Breite und historischen Tiefe. Wie die rechte Gewalt selbst, hat auch die künstlerische Auseinandersetzung mit ihr eine lange Geschichte in der BRD. Das Seminar bezieht daher auch ältere Arbeiten, wie etwa Peter Weiss dokumentarisches Theaterstück „Die Ermittlung “ (1965) oder Hito Steyerls Essayfilmreihe „Normalität 1-10 “ (1999-2001) – die in ihrer Aktualität und gesellschaftlichen wie künstlerischen Relevanz nicht nachgelassen haben – in die Betrachtung mit ein. So werden Konjunkturen und Kontinuitäten von rechter Gewalt sichtbar, ebenso aber auch ein künstlerisches Engagement gegen diese, das sich in verschiedenen Ansätzen und Formen der Gegenuntersuchung manifestiert.
Es geht im Seminar um folgende Fragen: Wie ist der Begriff der Gegenuntersuchung zu verstehen?Was ist eine Gegenuntersuchung? Wogegen richtet sie sich? Und in welcher Weise tut sie dies? Was ist das Besondere an künstlerischen Formen der Gegenuntersuchung? Welche Formen der Untersuchung, welche ästhetischen Mittel und Verfahren verwendet sie? Welchen Anspruch und welche Möglichkeiten enthalten Ansätze der Gegenuntersuchung in der Kunst für die Entwicklung demokratischer Gesellschaften?
WiSe 24/25
D-Mark und DisIgnoranz und was das mit ästhetischem Widerstand zu tun hat?
Lehrstuhl Philosophie | Rime Abd Al Majeed
In der Fremderfahrung, so Bernhard Waldenfels, “überschreiten wir die Grenzen des Eigenen, ohne anderswo anzukommen.” (Waldenfels, Bernhard: Bruchlinien der Erfahrung, Frankfurt am Main [2002] 2010, S. 243.)
In diesem Seminar sollen verschiedene, in der Wissenschaft oft ausgelassene Perspektiven von migrantisierten Menschen in den Vordergrund rücken, um mit diesen aus der Normgesellschaft ausgelassenen Erfahrungen, Ansichten und Resilienz die Frage nach einem möglichen ästhetischen Widerstand zu stellen.
Dabei soll anhand von Filmen wie „Aşk, Mark ve Ölüm. Liebe, D-Mark und Tod und Bildern wie bspw. von Drago Trumbetaš zuerst einmal diese Wissens-Leerstellen aufgedeckt und sichtbar gemacht werden um dann im zweiten Schritt anhand von aktuellen Antirassismustheorien die gesellschaftlichen und strukturellen Bedingungen der problematischen Herausbildung einer Normgesellschaft untersucht werden.
geplant 8. Juli 2025
Vortrag “Erinnerungspolitik und Rassismus” an der Uni Kassel von Rime Abd Al Majeed
geplant 6./7. Oktober 2025
(Tagung mit IFS Frankfurt/hfg Offenbach) in Frankfurt am IFS