Debütant*innen der Akademie der Bildenden Künste München 2022 zu Gast im Museum VILLA STUCK
In der Debütant*innenausstellung präsentiert die Akademie der Bildenden Künste München jedes Jahr ihre ausgezeichneten Absolvent*innen des Diploms und des Staatsexamens. 2022 wurde das Diplom auf Grund der coronabedingten Flexisemester noch einmal aufgeteilt, so dass in der Ausstellung die Preisträger*innen des Diploms 2022.1 (Februar) und 2022.2 (Juli) sowie des Staatsexamens 2021 vertreten sind.
Die Debütant*innenausstellung wird kuratiert von Roland Wenninger.
Preisträger*innen & Preise:
Simona Andrioletti & Riccardo Rudi, Preis der Akademie aus den Stipendienfonds 2022.2
Luisa Baldhuber, Examenspreis 2021
Julian Billmair, Debütant*innenförderung 2022.1
Julia Emslander, Preis der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung 2022.1
Veronika Günther, Examenspreis 2021
Andrei Hâncu, Preis der Akademie aus den Stipendienfonds 2022.1
Ilaria Igliani, Preis des Akademievereins 2022.1
Eteri Nozadze, DAAD-Preis 2022
Julian Rabus, Preis des Akademievereins 2022.2
Anna-Lena Steinbach, Examenspreis 2021
Milen Till, Debütant*innenförderung 2022.1
Julia Walk, Preis der Akademie aus den Stipendienfonds 2022.1
Joseph Maurus Wandinger, Preis der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung 2022.2
Shirin Zeraaty, Debütant*innenförderung 2022.2
Eintritt frei.
Debütant*innen 2022 - Werkinfo
Simona Andrioletti & Riccardo Rudi
Simona Andrioletti und Riccardo Rudi setzen sich mit der Auswirkung von Gewalt auf das Individuum auseinander. Sie arbeiten in verschiedenen künstlerischen Techniken und kombinieren die Elemente zu einer komplexen Rauminstallation: Video, eine Edition von T-Shirts (als Publikation konzipiert), Skulptur und einem Soundtrack, der in Zusammenarbeit mit dem Rapper Noah "Rilla" Kretschmann und Luca Napoli entstand.
Der Ausgangspunkt für Sorry Mom sind einige Überlegungen zu zwei Gedichten, die Müttern gewidmet sind: „Die Ballade der Mütter“ und „Bitte an meine Mutter“ von Pier Paolo Pasolini. Sie sind in der Gedichtsammlung „Dichtung in Form einer Rose“ enthalten, die 1964 vom Verlag Garzanti veröffentlicht wurde. Das Gedicht „Die Ballade der Mütter“ beginnt mit dem Vers: „Ich frage mich, welche Mütter ihr gehabt habt“. Pasolini adressiert Aggressor*innen, bringt sie uns aber nahe und sensibilisiert dafür, dass auch die Angreifer Teil einer Kette von Gewalt sind und den Schmerz kennen, der mit dem Opfersein einhergeht.
Luisa Baldhuber
Luisa Baldhubers künstlerischer Themenschwerpunkt ist das Verhältnis von Farbe, Raum und Licht und wie diese unsere Raumwahrnehmung beeinflussen. In ihren Installationen arbeitet sie mit einer Vielzahl an Materialien und Techniken, darunter „Rot Grün Blau-Licht“ und Wandmalereien, handgefärbten Fadenvorhängen, dichoitrischem Glas oder Rasensprengern, die als architektonische Erweiterungen des gegebenen Raums neue Assoziationen entstehen lassen und dessen reale Grenzen überschreiten. Dadurch erschafft die Künstlerin neue architektonische Ordnungssysteme in gegebenen räumlichen Kontexten, die das Verhältnis von Realität und Wahrnehmung, von Authentizität und Imagination hinterfragen.
Julian Billmair
In seiner künstlerischen Arbeit untersucht Julian Billmair seit Beginn seines Studiums an der Münchner Kunstakademie die Bedingungen künstlerischer Produktion, die Zirkulation von Kunstwerken sowie institutionelle Mechanismen und deren Auswirkungen auf die dem Kunstfeld innewohnenden Individuen angesichts einer allumfassenden Ökonomie, die auf vieldeutige Weise zugleich opak und transparent agiert. Er nimmt Bezug auf die “Kleine Münze”, ein Begriff aus dem deutschen Urheberrecht, und untersucht diesen mittels einer Reihe von Wieder-Aneignungen von Arbeits- und Wertschöpfungsprozessen, die er in einigen Nebenjobs als Arthandler und der Produktion von Kunstwerken für Künstlerkolleg*innen vollzogen hatte.
Die in Franz von Stucks “Altem Atelier” gezeigte Installation, bestehend aus fotorealistischen Malereien, gerahmten Dokumenten sowie einer aus Holz gefertigten Skulptur bildet den Abschluss des Small Change/ Kleine Münze -Zyklus, welchen Billmair im Rahmen seiner gleichnamigen Diplomarbeit im Februar diesen Jahres begonnen hat.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit Essays von Franziska Sophie Wildförster und Gina Merz.
Julia Emslander
Mit einer dunklen monochromen Farbpalette sowie einer Reduktion von kompositorischen Elementen bieten Julia Emslanders Werke eine Gegenposition zu Informationsflut und Contentübersteuerung. Ihre prozessorientierte Kunst ist ein sinnliches, emotionales und ästhetisches Angebot, das zwischen Werk, Betrachter und Architektur lebendig wird. Dieser phänomenologische Ansatz schärft die Wahrnehmung und Achtsamkeit. Emslanders Werke fordern dazu auf, innezuhalten und die Emanzipation eigener Gedanken und Emotionen zuzulassen.
Die Farbe wird zum Material. Emslander erforscht, wie der Einsatz verschiedener Oberflächen- und Materialeigenschaften ein spielerisches Erleben wechselhafter Lichtverhältnisse zwischen Reflexion und Absorption eröffnet. Die Oberflächen übernehmen die Rolle des Bildes. Die Werkgruppe Sober, Silent, Solitude spielt mit der Sensation der verschiedenen Materialien Lack, Pelz wie Beton und beschreibt gleichzeitig eine Entfremdung sowie Taubheit einhergehend mit einer allgegenwärtigen Reizüberflutung. So spiegeln sich verzerrte, deformierte Gesichter auf der Oberfläche des Bildes „Solitude (Narziss IV)“. Es zeigt die Flüchtigkeit des Moments, die Endlichkeit des menschlichen Lebens, wodurch das Vergehen der Zeit in ihrem Stillstand markiert wird. Emslander äußert eine feministische Kritik an universalistischen Vorstellungen einer entkörperlichten Objektivität.
Veronika Günther
Veronika Günther beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit den Themen Scham, dem Scheitern und dem Zweifel. Es sind einige Arbeiten entstanden, die das Gefühl der Scham auch in Bezug auf das sich Zeigen und das Ausstellen behandeln. Mimikry setzt sich mit dem Versuch der Tarnung und Anpassung auseinander. Für den historischen Empfangsraum von Franz von Stuck ist eine Webarbeit entstanden, die das Muster und die Ornamentik des Bodens aufgreift und in Handarbeit nachahmt. Im Gegensatz zur spektakulären Umgebung wurde jedoch für den Teppich kein wertvolles Material verwendet, sondern gebrauchte Kleidung und Stoffreste. So sucht sich die Arbeit eine möglichst repräsentative Umgebung, in der sie nahezu unsichtbar wird.
Andrei Hâncu
Die Idee der Reziprozität und der Aneignung von Bildern eines*r anderen Autor*in für das eigene Kunstwerk ist nichts Neues. Es war lange Zeit etwas Natürliches oder vielleicht sogar Unvermeidliches. Das Problem für Andrei Hâncu ist es, seine eigene Identität in einem Flickenteppich von Unterschiedlichem und Unzusammenhängendem zu finden. Er bildet digitale Bilder physisch nach. Eine Sammlung grafischer Artefakte aus dem Internet, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, verwandelt er in Objekte. Er benutzt online-Druckereien und sendet die digitale Datei mit Angaben zu Material, Größe, Dicke etc. Manche Arbeiten werden später von ihm weiter bearbeitet und abgeschlossen. Für die Aussage seiner Arbeiten spekuliert er mit den Eigenschaften und dem Charakter des Materials.
Gelegentlich greift Hâncu auch auf die traditionelle Malerei zurück, deren Quelle ebenfalls das Internet ist.
Ilaria Igliani
Ilaria Igliani konzentriert sich in ihren Arbeiten auf den Prozess der Katharsis des Unbewussten und untersucht die Instinkt-Vernunft-Beziehung durch den Einsatz verschiedener künstlerischer Medien wie Fotos, Videos, Keramik und Installationen.
Während der Pandemie begann für sie eine Routine, ein Ritual und brachte durch die Zeit der Isolation unterschwellige Stimmungen zum Vorschein. Ein Jahr lang drückte sie ihr Unbehagen, wiederkehrende Sorgen und Prekarität über das tägliche Formen einer kleinen Figur aus. Für Ilaria Igliani verkörpern sie die Probleme ihrer Generation, die vielleicht besonders in ihrem Heimatland Italien zu spüren waren. In der Vielzahl, der Wiederholung der Figuren erkennt man das Gefühl dieser Zeit, eingefroren zu sein und in einer endlosen Schleife stecken zu bleiben. Sdraiati - die liegende Position ihrer Figuren, das verwendete Material (Keramik) und ihre Größe betonen das Ausgeliefertsein und die Fragilität des Menschen. Eine Metapher des Menschen, klein und zerbrechlich. Die Keramikfiguren erinnern an die Menschen in Pompeji, die im Moment der Katastrophe in ihren Körpern gefangen waren. Gefangen in einer zeitlosen Dimension.
Eteri Nozadze
Der zentrale Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeiten von Eteri Nozadze umfasst in den letzten Jahren die bewusste Begegnung und den Gebrauch der fremden Sprache.
Die Beobachtungen der Künstlerin betreffen die Produktion von Bedeutungen in der Sprache, welche als normierende Wissensformen machtvoll sind, Zuschreibungen definieren, sich auf reale Handlungen auswirken, sie legitimieren und damit Realitäten verfestigen.
Das unvollständige Sprachvermögen in der Fremdsprache und eine „wortreiche Sprachlosigkeit“ bilden für Nozadze die Grundlage für ihr „künstlerisches Stottern“. Machtlos ausgeliefert, möchte sie das „Sprachbild“ zerstören und ein neues Bild, eine neue Realität schaffen. Als wichtiges Mittel für ihre Arbeitsweise dient die Verfremdung der Schrift- und Sprachzeichen.
In der Ausstellung sind 3 Arbeiten aus der 16-teiligen Werkgruppe Der Geheimniszustand zu sehen. Die Papierseiten, die auf das gelöcherte Tuch beidseitig geschöpft wurden, verbinden sich durch die Löcher miteinander und halten das Ganze zusammen.
Julian Rabus
Julian Rabus untersucht in seiner künstlerischen Praxis gemeinsam mit jungen Schauspieler*innen und dem Filmteam unterschiedliche narrative Formate. Dafür werden fiktionale Situationen geschaffen, die über mehrere Stunden hinweg mit bis zu vier Kameras gefilmt werden und einen Raum bieten, um Figuren und Handlungen intuitiv bearbeiten zu können.
Für die Arbeit MAGMA sind seit 2021 über fünf Drehblöcke hinweg mit insgesamt fünfzehn Schauspieler*innen zahlreiche Filmaufnahmen entstanden, welche in verschiedenen Formaten im Kunstkontext sowie auf Filmfestivals präsentiert werden.
Die 2-Kanal Arbeit forciert dabei Momente, in denen die Kategorien Figur/Rolle und Person in eine neue Beziehung gesetzt werden und die methodische Arbeitsweise sichtbar gemacht wird.
Die Figuren versuchen, sich in alltäglichen Situationen zurecht zu finden: sie performen, sie geben sich preis, machen sich verletzlich, sind unsicher, verlieben sich oder spielen den anderen etwas vor.
Anna-Lena Steinbach
Die künstlerische Arbeit von Anna-Lena Steinbach beschäftigt sich mit Bedürfnissen, die besonders durch die Pandemie deutlich wurden. Die erzwungene Distanz in dieser Zeit macht das Bedürfnis nach Nähe noch klarer. Die entstandenen Objekte sind ein Versuch der Selbstfürsorge. Sie stellen die Frage, ob Nähe vorgetäuscht oder ersetzt werden kann.
Auch das Licht ist für die physische und psychische Gesundheit existenziell und die lange Zeit, in der man gezwungen war, sich im privaten Raum aufzuhalten, hat diesen Bedarf oft nicht gedeckt. So wird eines der Objekte von Steinbach am Körper getragen und bündelt das Licht auf die Person. Eine Art Lichtfänger.
Durch die veränderten Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre stellt Anna-Lena Steinbach sich auch die Frage, ob wir zu unserem „vorpandemischen“ Leistungsniveau zurückkehren können und wollen. Die erzwungene Ruhe kann etwas Angenehmes, aber auch Lähmendes haben – eine Balance zu finden ist das Ziel. Die am Körper tragbaren Matratzen für Seiten- und Bauchschläfer ermöglichen es, sich immer und überall der Leistung zu entziehen und sich auszuruhen.
Milen Till
Die „Speerschleudernde Amazone“ ist eines der unzähligen besonderen Merkmale des Museums Villa Stuck. Beim Vorbeigehen hat man das Bedürfnis, sich zu ducken, sobald man in den Fokus der Amazone gerät.
Der Künstler Milen Till dehnt mit seiner Arbeit On Target die Energie der Statue über die Prinzregentenstraße hinweg aus und konfrontiert sie, mit Verweis auf den amerikanischen Künstler Jasper Johns, mit einer Zielscheibe in der gegenüberliegenden Einfahrt. Die Gestaltung der Zielscheibe entnahm er einem von Franz von Stuck entworfenen Ornament in einer der Deckenkassetten des Vestibüls seiner Villa. Während Jasper Johns das Motiv der Zielscheibe zu einem abstrakten Kunstwerk machte, nimmt Milen Till ein abstraktes Ornament von Stuck und verwandelt es zu einer Zielscheibe mit Funktion. Somit begegnen sich mit der Amazone und dem umfunktionierten, auf 2,80 Meter skalierten Ornament Franz von Stucks, zwei ursprüngliche Arbeiten desselben Künstlers und beleben sich gegenseitig.
Nach dem performativen Akt der Gegenüberstellung zum Eröffnungsabend ist die Zielscheibe anschließend in der Ausstellung in der Villa Stuck zu sehen. Sie trägt von der imaginären Begegnung mit der Amazone ein Loch in der Mitte davon. Sie hat ins Schwarze getroffen.
Julia Walk
Julia Walk ist eine multimedial arbeitende Künstlerin, die sich in ihrer Arbeit mit Körpern, Gender-Thematiken und Popkultur beschäftigt. Aus dem Hinterfragen von gesellschaftlich konstruierten Körpernormen und Stereotypen ergeben sich vielschichtige Installationen, Performances und Objekte. Ihre Ästhetik ist dabei knallig bunt, ein artifizielles Finish kontrastiert die körperlich-organischen Oberflächen. Oft weisen die Arbeiten eine humorvolle Qualität auf, die dem ihnen innewohnenden feministisch orientierten Diskurs Zugänglichkeit und Leichtigkeit verleiht. Der Austausch und die Kommunikation mit den Betrachtenden sind der Künstlerin dabei sehr wichtig.
In ihrer aktuellen Arbeit Behind the Muscles interviewt Walk drei professionelle Bodybuilder, die Teil ihrer Diplomarbeit Sugar Muscles waren. Dafür wurden die Athleten von der Künstlerin performativ mit eingefärbter Zuckermasse übergossen, während sie zu 90s House Beats eine von ihnen eigens kreierte Wettkampf-Choreographie präsentierten. Nun soll der Perspektive der Bodybuilder Raum gegeben werden. Die Arbeit ist ein Forschen am Male/Female Gaze, an Machtgefällen und Männlichkeitsbildern.
Joseph Maurus Wandinger
Als Win Win-Situation bezeichnete das Auktionshaus Karl & Faber den Verkauf der Arbeit „Die Sinnlichkeit“ von Franz von Stuck. Die Installation WIN WIN von Joseph Wandinger wurde dort während der Ausstellung zum Karl & Faber Preis 2019 auf dem Dach gegenüber installiert. Während einer Residency des Kunstvereins München, gefördert von Euroboden, wurde sie dann in Inning am Ammersee gezeigt.
Wie beeinflussen Kooperationen mit Unternehmen und Ausstellungen mit Wettbewerbscharakter die Produktion von Kunst? Wer dient - verdient?
Der Quadratmeterpreis für Immobilien im Münchner Innenstadtbereich als Edition im Stapel gedruckt – NEU REICH, 12.000 Euro pro Blatt, frei verfügbar für die Besucher*innen. Die Selbstermächtigung des Gelddruckens.
Shirin Zeraaty
Die Faktoren, die zur Interpretation eines Kunstwerks beitragen, haben Shirin Zeraaty schon immer fasziniert. Variablen wie der Name der Künstler*in, die Biografie, der Titel des Werkes, der Ausstellungsort und das Entstehungsjahr können sie beeinflussen. Zeraaty hat in Art in context einige Elemente geändert, während sie andere auf die gleiche Weise wie eine mathematische Gleichung beibehalten hat. Während der Titel und das Kunstwerk gleich bleiben, wurden die Biographie, der Ort der Ausstellung und das Jahr geändert.
So kommen Fiktion und Realität zusammen, wie in Zeraaty's Werk auch nicht-westliche und westliche Kunst zusammenkommen.
Art in context ist auch als Buch erschienen.