• Michael Hofstetter u.a. | Ausstellung
  • Eröffnung Do | 05.09.2024 | 18:00 Uhr
  • Datum Fr | 06.09.2024
  • Sa | 14.09.2024
  • Öffnungszeiten täglich | 13:00 - 20:00 Uhr
  • Ort Orangerie | Englischer Garten 1a
Foto Maya Hermens

Mit Maya Hermens, Sonja Allgaier, Michael Hofstetter und Kirsten Zeitz.

 

Müsste man eine Architektur wählen, in der alle aktuellen gesellschaftlichen Widersprüche vereinigt sind, dann würde die Orangerie ziemlich weit oben im Ranking liegen. Orangerien sind Gehäuse, die unser Begehren nach exotischen und warmen Lebensräumen repräsentieren. Ihre ursprüngliche Funktion: Die Aufbewahrung von nicht winterfesten Zitruspflanzen erweiterte sich schnell in allerlei Lustbarkeiten – darunter auch das Zurschaustellen von Gemälden. Fortschrittlichere Varianten zur Herstellung eines künstlich warmen Klimas kennen wir als Gewächshäuser. 1851 fand die erste Weltausstellung in einem solchen – ins Gigantische vergrößert – Gewächshaus statt. Die Menschheit zeigte in diesem fußballfeldgroßen, künstlich klimatisierten Raum in einem Wettkampf der Nationen, ihre technischen Innovationen – darunter auch Kunstwerke. Neben dem Konkurrenzkampf als Daseinssport, legten diese Weltausstellungen in den Kristallpalästen des 19. Jahrhunderts auch das Klima fest in dem die kulturell fortschrittliche und erfolgreiche Menschheit fortan existieren wollte: Das arkadische Klima des Mittelmeerraumes. Dostojewski fand bei seinem Besuch der Weltausstellung in London 1862 diese künstliche mediterrane Rauminsel, die zu den Armenvierteln der Stadt einen krassen Widerspruch bildete so pervers, dass er zurück in St. Petersburg sein berühmtes Buch „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“ schrieb. Seitdem gilt in der Kunst auch der Satz: Die Welt ist nur dort wahr, wo sie kalt und unwirtlich ist. Zu dem klimatisierten Raum des Kunstsalons gesellte sich das Kellerloch als Genius Loci.

 

Seit der ersten Studie des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums aus dem Jahre 1972 hat die künstliche Erwärmung des kapitalistischen Weltinnenraums eine zynische Wende bekommen. Der Wohlstand müsste sich selbst auf niedrigere Temperaturen herunterregeln um auf dieser Erde zu überleben. Das Begehren nach Eis ist nicht mehr nur der lustvolle Exzess einer wohltemperierten Partygesellschaft, sondern der revolutionäre Wahlslogan der Volt-Partei für die Europawahl 2024. Das Motto von Nietzsches Zarathustra „Für Alle und Keinen“ ist jetzt zum Orakel für die Menschheit geworden.

 

Maya Hermens, Sonja Allgaier, Michael Hofstetter und Kirsten Zeitz kennen sich aus der Akademie der Bildenden Künste München. Sie kommen aus unterschiedlichen Meisterklassen und Jahrgängen – repräsentieren verschiedene Gattungen und Herangehensweisen. Ihre künstlerischen Arbeiten reizen die ganze Bandbreite dieser – nicht nur klimatischen – Widersprüche in der Ausstellung „Für Alle und Keinen“ in der Orangerie im Englischen Garten in München spielerisch aus: Sensible Zeichnungen neben kristallinen Fotografien, medienkritische Aquarelle neben existenziellen Performances, Kleidermode neben Skulpturen – Alltag neben Abgrund. Die Ausstellung verstärkt die Widersprüche des Gebäudetyps der Orangerie: die Vereinbarkeit in der Unvereinbarkeit, das Bewusstsein des Kellerlochs im Kristallpalast, das Unnatürliche in der Natur. Kurz: Verzweiflung und Genuss in üppiger Schönheit.

 

2024 Shiva Lachen 

 

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