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Airwaves
Installation und Videoarbeit, 2025
Baumwollstoff, Cyanotypie, Epoxidharz, Stahl, Projektion

 

„Das Meer ist wein-dunkel, der Himmel bronzen.“
In Homers Epen fehlt ein Wort für die Farbe Blau. Erst Jahrhunderte später entwickelt die Sprache eine Bezeichnung für diesen Ton. Was zunächst wie ein Mangel wirkt, offenbart sich als kulturelle Differenz – als Hinweis darauf, dass Wahrnehmung nie selbstverständlich ist, sondern geformt, veränderlich und von Sprache abhängig. Die Arbeit Airwaves nimmt diese Lücke als Ausgangspunkt und überträgt sie in eine zeitgenössische Materialsprache. Zwei Geschichten des Blaus treffen hier aufeinander: das technische Blau der Cyanotypie, entstanden durch Belichtung, Archiv und Zufall, und das organische Blau des Textils, das auf Handwerk, Körper und Tradition verweist.

 

Die Installation besteht aus mit Epoxidharz gehärteten Stoffbahnen, die wie eingefrorene Bewegungen im Raum stehen. Der Stoff, ein Material, das gemeinhin mit Weichheit und Anpassung verbunden wird, erscheint hier fest, widerständig und entschieden. Diese Umkehrung spielt mit geschlechtlich aufgeladenen Materialzuschreibungen und verweist auf das Potenzial des Weichen, Stärke und Beharrlichkeit zu verkörpern.


Auf den Oberflächen der Stoffe sind in Cyanotypie Collagen aus Fotografien, Scans und Zeichnungen zu sehen – Fragmente aus dem persönlichen Archiv der Künstlerin, die sich zu fiktiven Landschaften verweben. Realität und Erinnerung überlagern sich, Übergänge entstehen, Grenzen lösen sich.
Das begleitende Video verbindet Zitate aus Homer mit eigenen Aufnahmen von Wasser, Stoff und Licht. „Und was, wenn einer der Götter mich auf dem wein-dunklen Meer zerstört?“ – eine Frage, die zwischen Mythos und Gegenwart nachhallt. So wird das Meer zum Bild für Wahrnehmung selbst: fließend, vieldeutig, nie still.

 

Airwaves öffnet einen Raum zwischen Bewegung und Stillstand, Sprache und Sehen, Oberfläche und Tiefe. Die Farbe Blau steht darin nicht für Eindeutigkeit, sondern für das Unbestimmte – für einen Möglichkeitsraum, in dem Wahrnehmung neu verhandelt wird.

 

Fotos: Lilian Polosek