Jahresthema 2021/22: Ko-Existenz
Sommersemester 2022
Körper der Ko-Existenz
Relationale Vorstellungen des Menschen in Kunst und Theorie der Gegenwart
(FK-T3, KP D.04.09, KP D.05.09)
Dr. Susanne Witzgall
Raum E.O1.23, Akademiestr. 2
Zeit Dienstag 14.00–16.00 Uhr, Beginn: 26.04. (Vorbesprechung), dann wöchentlich (03.04., 10.05., 17.05., 24.05., 31.05., 14.12., 07.06., 14.06, 21.06., 28.06., 5.07.)
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Die Vorstellung, dass der Mensch ein selbstbestimmtes, wissendes Subjekt ist, prägt den westlichen humanistischen Diskurs. „Transparentes Ich“ nennt die Philosophin Denis Ferreira da Silva diese Idee, die den (‚idealen‘) Menschen mit einer autarken Innerlichkeit assoziiert, mit der er über eine vermeintliche – ihn nicht wirklich affizierende – Außenwelt herrscht. In Opposition zu dieser Vorstellung des selbstbestimmten unabhängigen Menschen mit ihrem „Wahn der Undurchlässigkeit“ (Stacy Alaimo) entwarfen in den letzten Jahrzehnten Vertreter*innen posthumanistischer, feministisch-neomaterialistischer Ansätze und der Black Critical Theory sowie ein Reihe von internationalen Bildenden Künstler*innen ein dezidiert relationales Konzept des Subjekts. Dieses bestreitet die Trennung des Menschen von den vernetzten, sich gegenseitig konstituierenden Prozessen der Realität und betont seine verkörperte Ko-Existenz und sein Mit-Werden mit anderen lebenden und nichtlebenden Akteur*innen in den materiell-semiotischen Geflechten der Welt.
Doch wie sehen diese menschlichen Körper der Ko-Existenz aus? Welche Eigenschaften haben sie? Sind sie stark oder verletzlich? In welche Machtrelationen sind sie eingebettet und was für ein alternatives Konzept zum „transparenten Ich“ legen sie genau nahe? Das Seminar geht diesen Fragen anhand von ausgewählten theoretischen Positionen und Beispielen aus der Kunst der Gegenwart nach und nimmt dabei sowohl die Ko-Existenz und das Mit-Werden des Menschen mit anderen Lebewesen und der Umwelt als auch mit der Technik in den Blick. Wir analysieren in diesem Zusammenhang unter anderem Arbeiten von Geumhyung Jeong, Candice Lin, Sandra Mujinga, Otobong Nkanga oder Alexandra Pirici (fast alle Teilnehmer*innen der diesjährigen Biennale in Venedig) und besprechen Texte von Stacy Alaimo, Rosi Braidotti, Andy Clark, Donna Haraway, Astrida Neimanis, Jakiyyah Iman Jackson und weiteren. Zudem sind inhaltliche Ausflüge in das Science-Fiction-Genre geplant (Octavia Butler) sowie ein Besuch der Ausstellung „Future Bodies from a Recent Past“ in der Sammlung Brandhorst (ab. 2. Juni).
Kollektive Komplizenschaften
Blockseminar zur Vorbereitung auf den Besuch der documenta 15
(FK-T2, FK-T3, KP D.04.09, KP D.05.09)
Dr. Susanne Witzgall
Raum Alter Sitzungssaal (Altbau) und E.O1.23 (nur am 15.06.22)
Zeit Mittwoch 14.30–17.30 Uhr, Beginn: 04.05.22., dann 14tägig (18.05., 01.06., 15.06., 29.06.)
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Das Konzept derdocumenta 15 orientiert sich an dem Modell von „lumbung“ – ein Begriff, der auf Indonesisch eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune bezeichnet. Es stellt damit „Kollektivität, gemeinschaftlichen Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung“in den Mittelpunkt dieses internationalen Kunstereignisses. Der Großteil der eingeladenen künstlerischen Positionen sind Kollektive, deren – häufig partizipativ angelegte – Praxen über die Milieugrenzen der Kunst hinweg breitere soziale Schichten erreichen wollen. Nicht die Produktion von Kunstobjekten steht hier im Vordergrund, sondern eine konkrete Formung von realen Bedingungen menschlicher (und nichtmenschlicher) Ko-Existenzen. So geht es beispielsweise um die Realisierung allgemeiner gesellschafts-politischer Anliegen wie mehr Demokratie oder Meinungsfreiheit, das Anstoßen sozio-ökologischer Transformationsprozesse an einem ganz bestimmten Ort oder um das gemeinsame Teilen und Produzieren von Wissen.
Das Blockseminar „Kollektive Komplizenschaften“ versteht sich als vorbereitende Veranstaltung für einen Besuch derdocumenta 15. Nach einem kurzen historischen Rückblick auf kollektive Kunstpraktiken in den 1970er Jahren widmet es sich ausgewählten künstlerischen Positionen der documenta wie Tanja Buguera‘s INSTAR (Instituto de Artivismo Hannah Ahrendt), INLAND – Campo Adentro: arts, agricultures and countryside, Black Quantum Futurism oder das ZK/U-Zentrum für Kunst und Urbanistik und anderen. Diese Beispiele sollen außerdem dazu dienen, grundsätzliche Anliegen und Strategien zeitgenössischer kollektiver Kunstpraxen zu analysieren sowie das Verhältnis von Kunst, Gesellschaft und Politik zu diskutieren.
Vom 7. bis 10. Juli findet zusammen mit den Lehrstühlen für Kunstgeschichte eine klassenübergreifende Exkursion zur documenta 15 statt, die mit studienübergreifenden Zuschüssen unterstützt wird. Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Exkursion ist der Besuch dieses Blockseminars oder alternativ dazu der Besuch des Seminar zur Geschichte der documenta von Dietmar Rübel. Der Anmeldeschluss für die Exkursion ist der 2. Mai 2022. Das Blockseminar "Kollektive Komplizenschaften" steht jedoch auch allen anderen Interessierten offen unabhängig von der geplanten Exkursion.
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Wintersemester 2021/22
Co-Existence. Die Kunst des mehr-als-menschlichen Zusammenlebens
Seminar (FK-T3, D.05.09)
Dr. Susanne Witzgall
Raum E.O1.23, Akademiestr. 2
Zeit Dienstag 14.00–16.00 Uhr, Beginn: 26.10. (Vorbesprechung), weitere Termine: 02.11., 09.11., 16.11., 30.11., 07.12., 14.12.2021, 11.01., 18.01.2022
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In jüngerer Zeit häufen sich im Kunstbereich Projekte, Ausstellungen und diskursive Programme, die sich dem Thema der Co-Habitation bzw. der Co-Existenz von Menschen und Nicht-Menschen widmen. Die Ausstellung Cohabitation – Ein Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum (silent green, Berlin) mit einem umfangreichen Diskursprogramm oder das ProjektCritical Zones (ZKM, Karlsruhe) sind nur zwei Beispiele für das wachsende künstlerische sowie transdisziplinäre Interesse an Fragen des mehr-als-menschlichen Zusammenlebens vor dem Hintergrund eines rasanten Artenschwunds, eines sich potenzierenden Verlusts an fruchtbaren Böden sowie steigenden Mensch-Wildtier-Konflikten.
Das Seminar nähert sich dem Thema der „Co-Existenz“ unter anderem entlang zentraler Begriffe des gegenwärtigen, stark feministisch-posthumanistisch geprägten Diskurses wie „care“, „kinship“ (Verwandtschaft), Responsabilität, Solidarität oder Symbiose. Wir diskutieren aktuelle künstlerische und gestalterische Positionen von Alexandra Daisy Ginsberg, Forensic Architecture, Antje Majewski, Maria Michails, Susanne M. Winterling, Tomas Saraceno, Thao Nguyen Phan und vielen mehr und blicken dabei immer wieder auch auf inhaltlich korrespondierende künstlerische Arbeiten aus den 1970er, 1980er und 1990er Jahren zurück – darunter Projekte von Ant-Farm, Helen Mayer Harrison und Newton Harrison, Betty Baumont oder Mark Dion und Alexis Rockman. Als begleitende Lektüre, die mit den künstlerischen Positionen in einen kritischen Dialog gebracht wird, dienen Texte von Fahim Amir, Maria Puig de La Bellacasa, Donna Haraway, Natasha Mayers, Merlin Sheldrake und anderen.
Cross Challenge I: Caring Co-Existence
Kooperationsprojekt mit der Technischen Universität München (Junge Akademie), der Hochschule für Film und Fernsehen und der Hochschule für Musik und Theater
Zeit Beginn: 21.10. (Vorstellung), weitere Termine (siehe auch unten): 22.10., 23.10., 04.11., 05.11., 06.11., 01.12., 08.12.2021, 12.01., 25.02.2022
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Unser westlicher Lebensstil – geleitet von einem unersättlichen Konsumverhalten, der Ideologie eines kontinuierlichen Wachstums, zunehmender Ungleichheit, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und einer Vermüllung der Erde – scheint vor dem Bankrott zu stehen. Es gilt mittlerweile als unumstritten, dass wir uns auf neue Art und Weise zur Mehr-als-menschlichen-Welt in Bezug setzen sowie neue Formen des Zusammenlebens denken und implementieren müssen. Aber wie und wo können wir hierbei in einem System ansetzen, das jeden von uns fest im Griff hat und alternative Ideen beständig diskreditiert? Wie können wir Möglichkeiten für einen Wandel und ein symbiotischeres Werden aufspüren, das in der Ungewissheit und Dunkelheit der Zukunft schlummert ohne von apokalyptischen Visionen übermannt zu werden? Wie können wir uns angesichts „kapitalistischer Ruinen“ (A. Tsing) und eines „zerstörten Planeten“ (D. Haraway) ein Zusammenleben mit einer Vielfalt von Spezies vorstellen und fördern?
In transdisziplinären und kollaborativen Projekten sollen Ansatzpunkte, erste Konzepte, Praktiken oder sogar Teillösungen auf diese drängenden Fragen unserer Zeit untersucht werden. Es gilt Gegenwart und Zukunft einer „Caring Co-Existence“ zu erforschen – ökologischer Formen der Existenz, die es wert sind verfolgt zu werden. Die Projekte können eine Veränderung der Wahrnehmung und affektiven Gestimmtheit provozieren, alternative Formen der Kommunikation mit der lebenden und nicht-lebenden Welt erforschen, sozio-ökologische Gewalt und Ungerechtigkeit adressieren, eine ethischere Verflechtung von Technologie und ‚Natur‘ befördern oder mit fruchtbareren Modi des Zusammenlebens experimentieren. Sie können kühne Visionen entwerfen oder relative kleine Interventionen und Interaktionen realisieren, die nichts destotrotz komplexe Mustern und Systeme des Wandels (A. M. Brown) nach sich ziehen.
1. Block:
21.10.2021 / 18:00 bis 19:30 Uhr / AdbK, Historische Aula
Begrüßung, Vorstellung des Projekts, Vorstellungsrunde der Teilnehmer*innen
22.10.2021 / 17:30 bis 20:00 Uhr / TUM, Turm
Einführung "Caring Co-Existence"
Präsentationen von Alexandra Daisy Ginsberg und Paulo Tavares (online)
anschließend Panel Diskussion und Q&A
23.10.2021 / 10:00 bis 15:30 Uhr / HFF, Seminarraum 1 (2.01)
Workshop und Teambuilding
2. Block:
04.11.2021 / 17:00 bis 18:30 Uhr / HFF, Audimax
Merlin Sheldrake im Gespräch mit Susanne Witzgall und Daniel Lang (online)
anschließend Q&A
05.11.2021 / 14:00 bis 18:00 Uhr / AdBK, Historische Aula
Workshop
06.11.2021 / 12:00 bis 17:00 Uhr / Seminarraum 4, HFF
Arbeit im Team und Feedback-Runde
Weitere Termine:
01.12.2021 / 18:00–20:00 Uhr
Feedbackrunde für Team 1 und 2
08.12.2021 /18:00–20:00 Uhr
Feedbackrunde für Team 3
12.01.2022 / 17:00–21:00 Uhr / TUM Dieter Thoma Labor
Input und Feedbackrunde für alle Teams
25.02.2022: Closing/Abschlusspräsentation
Das Format Cross Challenge
Die komplexen Problemstellungen der Gegenwart können nur im Verbund verschiedener Erkenntnis- und Praxisformen adäquat erfasst und verhandelt werden. Es gilt unkonventionelle Analysewerkzeuge sowie alternative Denk- und Handlungsstrategien zu entwickeln, die den aktuellen sozio-ökologischen Herausforderungen gerecht werden können und die notwendige Transformation der Gesellschaft vorantreiben. Hier setzt Cross-Challenge an. Dieses gemeinsame transdisziplinäre Projektformat der Jungen Akademie der Technischen Universität München (TUMJA), der Akademie der Bildenden Künste (AdbK), der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) sowie der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) ist bewusst experimentell ausgerichtet.
Fortgeschrittene Studierende der vier Hochschulen werden dazu eingeladen, zu einer vorab definierten aktuellen Fragestellung ein kollaboratives Projekt zu initiieren und umzusetzen. Über einen Zeitraum von vier Monaten (16 Wochen) entwickeln ausgewählte Studierende aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen sowie unterschiedlichen technischen, geistes-, gesellschafts- oder naturwissenschaftlichen Fächern in kleinen Gruppen von vier bis sechs Personen ein gemeinsames Projekt. Sie erhalten hierfür ein kleines Produktionsbudget, fachlichen Input von internationalen Expert*innen im Rahmen von Workshops und Vorträgen und werden von Dozent*innen der Partnerhochschulen begleitet und unterstützt.
Projektergebnisse können künstlerische oder dokumentarische Arbeiten, wissenschaftliche Abhandlungen oder gesellschaftliche Interventionen sein. Sie können eine poetisch-beschreibende, analytische, kritisch-reflektierende oder politisch-aktivistische Ausrichtung haben und hybride Formen annehmen, die konventionelle Gattungen sprengen. Ziel des gemeinsamen projektbezogenen und kollaborativen Formats ist es durch inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit andere Perspektiven auf zentrale Fragestellungen unserer Zeit zu eröffnen sowie neue Herangehensweisen und Praxisformen zu erproben. Als hochschulübergreifende Initiative möchte Cross-Challenge bereits im Studium eine transdisziplinäre Forschung und insbesondere die Zusammenarbeit zwischen angehenden Wissenschaftler*innen und Künstler*innen fördern, der ein wegweisendes Innovations- und Transformationspotential zugeschrieben wird.